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BLACHER, Boris: PREUSSISCHES MÄRCHEN

Boris Blacher (1903-1975):
PREUSSISCHES MÄRCHEN
Ballett-Oper in sechs Bildern
Libretto von Heinz Tilden von Cramer nach Zuckmayers „Der Hauptmann von Köpenick“


Uraufführung am 23. September 1952 am Städtischen Opernhaus Berlin.

 

PERSONEN DER HANDLUNG

Vater Fadenkreuz, etwa 70 Jahre alt (Sopran)
Mutter Fadenkreuz, etwa 65 Jahre alt (Bass)
Beider Sohn Wilhelm, etwa 40 Jahre alt (Bariton)
Auguste, seine Schwester, etwa 35 Jahre alt (Sopran)
Assessor Birkhahn, etwa 30 Jahre alt (Tenor)
Bürgermeister, um die 50 Jahre alt (Bass)
Bürgermeisterin, um die 40 Jahre alt (Alt)
Beider Tochter Adelaide, 20 Jahre alt (Sopran)
Zitzewitz, Steuerinspektor, 35 Jahre alt (Tenor)
Trödler (Bariton)
Leutnant von der Feuerwehr (Tenor)
Versicherungsagent (Bass)
Ein Soldat (Tänzer)
Wirt (Bass)
Schreiber (Tenor, auch Bariton)
Vier Schauspieler (Sprechrollen)
Laternenanzünder (Sprechrolle)
Chor: Schreiber, Bürodiener, Ballbesucher
Ballett: Soldaten, Polizisten, Volk
Ort und Zeit: Um das Jahr 1900 in Berlin.

 

Erstes Bild.
Schreibstube im Bürgermeisteramt.
Das Werk beginnt ohne ein musikalisches Vorspiel: Steuerinspektor Zitzewitz bemerkt, dass der Schreiber Wilhelm Fadenkreuz nicht zum Dienst erschienen ist und ist darüber ungehalten. Den Grund erfährt er später: Wilhelm hat auf der Straße ein durchgehendes Pferd durch sein mutiges und energisches Eingreifen aufgehalten. Als er zum Dienst erscheint und umgehend zum Bürgermeister beordert wird, denkt er an eine Bestrafung wegen der Verspätung. Zu seinem Erstaunen wird er aber mit dem Königlich-Preußischen-Zivilverdienstorden ausgezeichnet, weil er eine Unterschlagung aufgedeckt hat. Der verspätete Dienstantritt spielt überhaupt keine Rolle.

In diesem Moment kommt eine junge Dame hinzu, deren Schönheit Wilhelm sofort in seinen Bann zieht. Es ist Adelaide, die Tochter des Bürgermeisters, gerade vom Pensionat nach Hause zurückgekommen. Sie schäkert sofort mit Zitzewitz, kommt dann aber zu Wilhelm, um ein Konto zu eröffnen. Mag sein, dass Wilhelm sein Orden übermütig gemacht hat, er vergisst über die Schönheit seine Arbeit und baggert Adelaide sehr plump an. Die ist zunächst überrascht, reagiert dann aber empört mit einem lauten Schrei, und rennt sofort in das Büro ihres Vaters. Und das für Wilhelm verhängnisvolle Ende naht mit schnellen Bürgermeister-Schritten: Der eben noch mit einem Orden ausgezeichnete Angestellte wird wegen „unsittlichen Benehmens“ fristlos entlassen. Wilhelm ist geschockt.

Zweites Bild.
Wohnung der Familie Fadenkreuz.
Wilhelms zwar jüngere, aber (sagen wir es zurückhaltend) ältlich wirkende Schwester Auguste stürzt aufgeregt ins Zimmer und erzählt ihrer Mutter, dass ihr auf der Straße ein junger Mann (sie weiß: in eindeutigen Absichten) gefolgt sei. Ohne eine Antwort der Mama abzuwarten, macht sich Auguste schnell zurecht – da läutet es auch schon an der Tür. Mutter Fadenkreuz, die sich, genauso wie ihr Mann, über die Aussicht auf eine Heirat ihrer Tochter freuen würde, lässt Assessor Birkhahn eintreten, zieht sich aber dann zurück. Birkhahn ergreift sofort die Gelegenheit und wirbt heftig um Auguste, ja, sie tauschen sogar Zärtlichkeiten aus. Und genau das ist für den Lauscher an der Tür, Augustes Vater, das Zeichen zum Eingreifen: Er tritt ins Zimmer und verlangt umgehend von Birkhahn, bei ihm um die Hand seiner Tochter anzuhalten. Verdutzt, aber keineswegs abgeneigt, stimmt der Assessor dem Verlangen von Vater Fadenkreuz zu.

Während Birkhahn mit seinem zukünftigen Schwiegervater über die Mitgift verhandelt, kommt Wilhelm nach Hause und berichtet der Mutter und der Schwester niedergeschlagen über seine Entlassung. Da Auguste die in Aussicht stehende gute Partie nicht aufs Spiel setzen will, man also Assessor Birkhahn die heile Welt einer bürgerlichen Familie vorspielen will, kommt sie auf die Idee, Wilhelm als Hauptmann beim Preußischen Garde-Regiment auszugeben. Als sich Birkhahn, mit Fadenkreuz einig, verabschiedet, lädt er die gesamte Familie zu einem Ball ein, den sein Arbeitgeber, die Concordia-Feuerversicherung, am nächsten Tag veranstalten wird. Dabei will er nicht nur die Verlobung mit Auguste öffentlich machen, sondern auch sein Debüt als Autor eines Schauspiels ankündigen.

Drittes Bild.
Der Laden eines Trödlers.
Wilhelm muss sich auf dringendes Verlangen seiner Eltern um eine Hauptmanns-Uniform bemühen, damit er auf dem Ball Eindruck schinden kann. Vor dem Laden eines Trödlers beobachtet er, dass die Frau des Bürgermeisters in Begleitung ihrer Tochter Adelaide einen Stoff kauft. Abseits stehend wartet er, bis die beiden Frauen gegangen sind, betritt dann das Geschäft und fragt den Inhaber nach einer Hauptmannsuniform. Der Trödler betrachtet Wilhelms Statur, geht dann suchend umher und händigt ihm schließlich eine passable Uniform aus. Dann lässt er Wilhelm allein, der sich sofort umzieht und sich im Spiegel von allen Seiten betrachtet. Tatsächlich sitzt das Prachtstück wie angegossen und Wilhelm fühlt sich plötzlich wie ein richtiger Hauptmann. Er gerät ins Träumen und sieht sich schon auf einem Ball mit Adelaide tanzen, aber der zurückkommende Trödler ruft ihn in die Wirklichkeit zurück. Wilhelm zieht sich also wieder um, bezahlt die Uniform und begibt sich wieder nach Hause.

Viertes Bild.
Ein Ballsaal.
Eine festliche Gesellschaft ist in gespannter Erwartung des von Assessor Birkhahn geschriebenen Schauspiels, das er mit einigen Kolleginnen und Kollegen eingeübt hat. Es soll vor dem Ball die Versammelten unterhalten. Allerdings geht während der Proben so ziemlich alles schief, was nur schiefgehen kann, weil die ungeübten Akteure natürlich aufgeregt sind. Der Autor selber bekommt es mit der Angst zu tun, weil er glaubt, ein Reinfall wäre seiner Karriere nicht förderlich. Er ist aber auch erbost, weil Auguste mit Eltern und Bruder noch nicht eingetroffen sind. Was mag da los sein, fragt er sich. Doch die Aufregung war unnötig, Familie Fadenkreuz kommt etwas verspätet, voran Wilhelm in seiner schmucken Hauptmannsuniform. Und der klatscht begeistert bei der Aufführung des Schauspiels Beifall, was sich wiederum auf das Publikum überträgt. Das sagt sich nämlich, was einem preußischen Hauptmann gefällt, muss gut sein. Der sich zunächst abzeichnende Reinfall des Schauspiels ist somit durch Wilhelms tatkräftigen Eingriff abgewendet.

Dann tritt die Kapelle in Aktion und das junge Volk eilt zum Tanz auf das Parkett, während alle älteren Semester, Männlein und Weiblein getrennt, in Gruppen zusammensitzen und sich spöttisch über den neuesten Berliner Tratsch auslassen. Dabei sprechen die Männer am Tresen dem Alkohol reichlich zu und ziehen mit besonderem Vergnügen über alle möglichen Honoratioren der Stadt, besonders aber über den Bürgermeister, her. Auch der Herr Assessor ist dabei und kann sich nur widerwillig von der Runde trennen, als Auguste ihn zum Tanz abholt. Und „Hauptmann“ Wilhelm gerät mit einem Concordia-Agenten aneinander, beschimpft dann noch den Herrn Bürgermeister als einen „Liberalen“ und – prügelt sich schließlich! Der Ball ist für ihn gelaufen, die übrigen Gäste hatten ihren Spaß, und langsam löst sich das Tanzfest auf.

Fünftes Bild.
Straße im Morgengrauen.

Der Tag beginnt gerade zu dämmern, als sich Wilhelm, schwer benebelt, auf der einsamen Straße wiederfindet. Als ihm ein Trupp Soldaten entgegenkommt, reagiert er forsch wie ein tatsächlicher preußischer Hauptmann: Er unterstellt sich mit typischem Kasernenhofton die Uniformierten und befiehlt ihnen den Marsch zum Rathaus. Gehorsam, wie es bei Preußens Usus ist, marschieren die Soldaten hinter dem „Hauptmann“ her, während Auguste und Birkhahn verzweifelt den Bruder und Schwager in spe suchen.

Sechstes Bild.
Die Stadtkasse bei Dienstbeginn.
Wie an jedem Morgen haben sich die Bediensteten eingefunden und beginnen still mit ihrer Arbeit – ohne zu ahnen, was sich in Kürze hier abspielen wird. Und plötzlich, wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel, ist es mit der beschaulichen Beamtenruhe vorbei, denn „Hauptmann“ Wilhelm und sein Trupp sorgen für helle Aufregung: Mit einem Ton, der keinen Widerspruch duldet, befiehlt Wilhelm die Kasse zu beschlagnahmen und den Bürgermeister umgehend zu verhaften.

Kaum, dass die Befehle ausgeführt sind, beginnen die Soldaten mit dem auf die Szene kommenden weiblichen Putzgeschwader eine rasante Polka zu tanzen. Wie schon zu Beginn dieses „preußischen Märchens“ taucht auch jetzt des Bürgermeisters Töchterlein Adelaide wieder auf. In dem Chaos erkennt sie nicht in dem Hauptmann den Wilhelm Fadenkreuz, nimmt sogar, sich geschmeichelt fühlend, seine Bitte zu einem Tanz an. Und bei diesem Tanz, während gerade Auguste und Birkhahn aufkreuzen, verliert Wilhelm seinen Helm und damit seine militärische Reputation – er ist wieder der Schreiber Wilhelm Fadenkreuz. Der Ruf des wütenden Kassenleiters nach der Polizei wird laut – und die ist, preußisch schnelle, zur Stelle. Und auch die Ball-Gesellschaft ist auf einmal da!

Und Assessor Birkhahn? Der ist völlig konsterniert, dass sein zukünftiger Schwager als ein Hochstapler verhaftet wird, und schleicht sich heimlich davon – nicht ohne seine Gedanken über eine Auflösung der Verbindung mit Auguste preiszugeben. Und der Bürgermeister? Der will zwar ein bürgermeisterliches Exempel statuieren, denkt aber auch immer an den aufkommenden Skandal. Aber glücklicherweise hat er eine überaus intelligente Gattin: Die empfiehlt ihrem Herrn Gemahl, die ganze Geschichte als einen Spaß auszugeben. Und so geschieht es! Damit entgeht „Hauptmann Wilhelm“ nicht nur einer ungewissen Strafe, nein, er wird sogar wieder ehrenvoll in den Kreis der Bediensteten aufgenommen. Ein heiterer Rundgesang beendet vor dem Fallen des Vorhangs die Komödie.

© Manfred Rückert

Anmerkungen:

Auf der Suche nach einem interessanten Bühnenstoff kamen Boris Blacher und Heinz Tilden von Cramer bereits 1947 auf die Idee, eine Ballettoper nach barock-französischem Vorbild zu schreiben. Zunächst fassten sie Heinrich Manns „Der Untertan“ ins Auge, kamen aber dann zu dem Entschluss, die berühmte, im Kern tragische Geschichte vom Schuster Wilhelm Vogt, die sich 1906 in Berlin zugetragen hatte, aufzugreifen.

In seiner Textfassung hielt sich der Librettist zwar an die Grundzüge des Schauspiels „Der Hauptmann von Köpenick“ von Carl Zuckmayer, wich aber in entscheidenden Momenten von dieser Vorlage ab. So entstand eine satirische Lokalposse mit gesellschaftskritischem Einschlag, der Blacher durch eine pointierte Musik, die sich an der Unterhaltungsmusik ebenso orientierte, wie er auch Galopp, Polka, Marsch und Walzer einzufügen vermochte.

So wichtig die Hauptperson, Wilhelm, auch ist, hier galt es, das kleinbürgerliche Spießertum, das obrigkeitsstaatliche Denken und zugleich den preußischen Militarismus aufzuspießen. Formal gehören dazu der ständige Wechsel zwischen Musik- und Tanztheater, wobei das tänzerische Element den Spießbürger bei den Traumszenen deutlich herausstreicht. Beispielsweise in der Szene im Trödler-Laden, wo Wilhelm die Hauptmanns-Uniform anprobiert, während im Hintergrund Czerny-Etüden gespielt werden. Geradezu surreal ist die Geschlechtsverteilung der Singstimmen der Eltern Fadenkreuz. Hier wird die Satire sofort fassbar.

Nach der von Artur Rother dirigierten und mit viel Applaus bedachten Uraufführung gab es nur wenige Neuinszenierungen, wie es überhaupt um die Bühnenmusik Blachers still geworden ist. 1974 gab es in Berlin eine Neuinszenierung (siehe auch die weiter unten erwähnte DVD). 1978 kam das „Preußische Märchen“ an der Wiener Volksoper heraus, fand dort allerdings nur geringes Interesse; 1981 brachte die Deutsche Oper Berlin das Werk nochmals auf die Bühne, sogar mit einer Wiederaufnahme 1983. Im Jahre 1995 folgte München (Gärtnerplatztheater), 2000 das Theater in Hof und 2012 das Landestheater Schleswig-Holstein Flensburg.

Von Blachers Ballett-Oper habe ich die unten gelistete DVD bei Amazon gefunden; die Mitwirkenden sind nicht extra aufgeführt, mit Lupe aber leidlich zu entziffern: Lisa Otto, Manfred Röhrl, Ivan Sardi, Donald Grobe, Victor von Halem, Helmut Krebs, Gerti Zeumer, Carol Malone…

Boris Blacher: Preussisches Märchen

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