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Ist über die Winterreise nicht schon alles gesagt?

Hallo

Anstatt hier den wohl wichtigsten Liedzyklus der Liedkunst im Detail vorzustellen und zu besprechen, habe ich mir was anderes überlegt. Das schließt eine spätere systematische Vorstellung nicht aus.

Jede Person, die sich für Liedkunst interessiert hat einen Bezug zur den 24 Liedern der Geschichte des Wanderers ohne Namen.

Wie habt Ihr die Winterreise kennengelernt?

Was bedeutet sie für Euch?

Welche Fragen stellt Ihr Euch?

Was fasziniert Euch?

Ich versuche den Einstieg in ein offenes Gespräch über das Werk, indem ich von einem Büchlein erzähle, das ich gerade lese – „Der Wanderer“ von Peter Härtling. Es verflicht die Fluchtgeschichte und weitere Erlebnisse des 2017 in Rüsselsheim verstorbenen Schubertkenners und die Lebensgeschichte des Dichters Wilhelm Müller, teilweise auch die von Franz Schubert ineinander. Dabei wurde mir erst klar, dass beide – Franz Schubert und Wilhelm Müller – ein grundlegendes biografisches Schicksal teilen – ihren sehr frühen Tod. Franz Schubert starb im Alter von 31 Jahren wahrscheinlich an den Folgen einer Syphilis-Erkrankung. Wilhelm Müller mit 32 Jahren – offenbar an einem Herzinfarkt.

Wie schade es ist, dass Wilhelm Müller wahrscheinlich nie erfahren hat, dass Schubert seine „Schöne Müllerin“ und „Die Winterreise“ vertonte, geschweige denn, sie gehört hat.

Hier eine Aufnahme des Beginns der „Winterreise“ – „Gute Nacht“. Julian Prégardien interpretierte das Werk 2019 und wurde von dem leider 2022 verstorbenen Pianisten Lars Vogt begleitet.

https://www.youtube.com/watch?v=yh13FfW27GI

Eine gute Nacht

Wolfgang

Liebe alle,

ich habe die Winterreise zum ersten Mal in Moskau im Puschkin-Museum als vollständige Aufführung erlebt. Es war natürlich -leider!- nicht die überragende Aufführung mit Peter Schreier,  die Willi schon im Eintrag über Svijatoslav Richter erwähnt hat – hier sei noch einmal darauf verlinkt:

https://www.youtube.com/watch?v=0jrWtfXb7fQ

Der Name des Sängers dieses von mir gehörten Konzerts -Ende der 90er Jahre muß es gewesen sein- ist mir entfallen. Das liegt auch wohl daran, daß nicht jeder Künstler so überragend deutlich ausspricht, wenn er singt, wie das Peter Schreier vermochte –  man höre die o.a. Aufnahme. Singen zum Mitschreiben – heute noch seltener geworden… Es stimmt aber schon: versteht man beim Lied nicht, was gesungen wird, so schaut man nach 10 Minuten aus dem Fenster.

Ich kann die Winterreise manchmal nur schwer ertragen. Die kalte, abgrundtiefe Verzweiflung, die in Wort und Musik gleichermaßen zum Ausdruck kommt, ist nichts für eigene schwarze Stunden. Gäbe es nicht die wenigen etwas lichteren Eindrücke -Lindenbaum, Post, auch der Frühlingstraum- wäre der Zyklus manchmal kaum anhörbar. Aber es besticht immer die geniale Komposition, die bisweilen lakonische melodische Kommentierung (z.B. in der „Krähe“) und ganz allgemein das Gefühl, der Aufführung eines großartigen Stücks Musik beizuwohnen, selbst wenn die Ausführung bisweilen nicht ideal sein mag. Da ist in der Winterreise wie bei manchen Werken von Mozart: das Opus adelt die Ausführenden. Nicht umgekehrt.

Grüße!

Honoria Lucasta

Seltsamerweise konnte ich mich des Eindrucks nie wirklich erwehren, dass das Klavier als Schlaginstrument ein Problem der klanglich-harmonischen Verschmelzung mit Gesang und Melodie-Instrumenten hat.

Darum haben mich auch bei diesem Hauptwerk der Gattung Lied, Schuberts Zyklus Die Winterreise, schon immer auch andere Besetzungen fasziniert. Letztlich sind es diese Bearbeitungen, die mir den Weg zu Interpretationen ebneten, die dem Komponisten und der Musik angeblich mehr dienen. Aber tun sie das wirklich?

Franz Schubert (Arrangeur Eduard Wesly):
Winterreise, Op. 89, D. 911 für Singstimme, Englischhorn und Streichtrio
Nr. 5, Der Lindenbaum
Florian Götz, Bariton 
Grundmann-Quartett

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Ich habe die Winterreise Anfang der 1960 er Jahre in der Schule kennen- und lieben gelernt durch meinen damaligen Klassen- und Musiklehrer, der nach dem Krieg, bevor er in den Schuldienst kam, eine Weile sein Brot als Liedbegleiter verdient hat. Mit ihm habe ich nach dem Unterricht einige Lieder gesungen, wobei er mich begleitet hat. Darunter waren zu allererst „Der Lindenbaum“, „Gute Nacht“, „Frühlingstraum“ und mein seit dieser Zeit absolutes Lieblingslied „Das Wirtshaus“. Später kamen noch andere zutiefst melodische Lieder hinzu wie „Die Nebensonnen“ und aus dem Schwanengesang „Am Meer“. Wenn ich eines dieser Lieder höre, umfasst mich tiefe Rührung und ein Glücksgefühl.

Zum ersten Mal live erlebte ich die Winterreise, wenn ich mich recht entsinne, in den späten Achtziger Jahren bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen mit Peter Schreier und Graham Johnson am Flügel. Wiederum ein Reihe von Jahren später habe ich die Winterreise zweimal live erlebt mit meinem damaligen Chordirigenten Maximilian Kramer, aber jetzt eine lange Zeit nicht mehr. Es wäre mal wieder an der Zeit. Da ich ja schon mit einer Reihe von vorgemerkten Konzerten in naher Zukunft München mit eine Anwesenheit unsicher  machen werde (zuerst im November Mahler 7 mit Sir Simon), hoffe ich, dass auch irgendwann die Winterreise dabei sein wird.

Hier habe ich aus der 1980er Winterreise mit FiDi  und Alfred Brendel die Nr. 23: „Die Nebensonnen“, eine wunderbare musikalische Synthese der Beiden, zumal Brendel ein absolut gleichberchtigter Partner ist:

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Liebe Grüße

Willi😀

Die kernige, gut artikulierte Stimme von Josef Greindl scheint mit dem Klavierklang relativ gut zusammenzuwirken:

 

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Hallo

Die „Nebensonnen“ sind für mich das mystischste Gedicht der Winterreise.

Ian Bostridge stellt die Vermutung eines optischen durch Lichtbrechung an Eis entstandenes Phänomens in den Kontext der ursprpnglichen Gedichtfolge bei Wilhelm Müller. Dort schließt sich der Frühlingstraum  mit seinen Eiskristallen an.

Die abschließende weitere Erklärungsmöglichkeit bei Bostridge ist ind nicht physischer Natur sondern etwas profaner. Diese Lesart wird laut Wikipedia durch den Dichter selbst gestützt:

„Die drei Sonnen desWanderers sind die Augen des Mädchens und die Sonne selbst. Er hat seine Liebe verloren und wäre besser tot. Das ist imGroben die nüchsterne Lesart des Bildes.“

Drei Sonnen sah ich am Himmel steh’n,
Hab’ lang’ und fest sie angeseh’n;
Und sie auch standen da so stier,
Als wollten sie nicht weg von mir.

Ach, meine Sonnen seid ihr nicht!
Schaut Andern doch in’s Angesicht!
Ja, neulich hatt’ ich auch wohl drei:
Nun sind hinab die besten zwei.

Ging’ nur die dritt’ erst hinterdrein!
Im Dunkeln wird mir wohler sein.

https://www.youtube.com/watch?v=V8ZxljvnRt0

Gruß Wolfgang

Ich habe heute ein anderes Lied aus dem letzten Viertel der Winterreise, die auch die letzte Teilstrecke des Wanderers zu sein scheint, und in dem Schubert in den beiden  ersten Strophen (g-moll in der 1. ) und (G-dur in der 2. ) zuerst die Unausweichlichkeit des Schicksals, dann die bange Frage nach dem Warum, bevor in der dritten  und vierten Strophe  das Endgültige des Schicksals zurückkehrt und nicht mehr weicht. Hermann Prey singt es hier auf höchst eindringliche Weise,  das Endgültige des Weges sehr eindrücklich zum Ausdruck bringend, wobei auch er kongenial von Gerald Moore begleitet wird:

DerWegweiser, Nr. 20
Was vermeid‘ ich denn die Wege,
Wo die ander’n Wand’rer geh’n,
Suche mir versteckte Stege,
Durch verschneite Felsenhöh’n?
Habe ja doch nichts begangen,
Daß ich Menschen sollte scheu’n, –
Welch ein törichtes Verlangen
Treibt mich in die Wüstenei’n?
Weiser stehen auf den Straßen,
Weisen auf die Städte zu.
Und ich wandre sonder Maßen
Ohne Ruh‘ und suche Ruh‘.
Einen Weiser seh‘ ich stehen
Unverrückt vor meinem Blick;
Eine Straße muß ich gehen,
Die noch keiner ging zurück.
Liebe Grüße
Willi😀

Hallo Willi

Der Wanderer scheint an sich selbst zu verzweifeln. Er sucht die Einsamkeit, scheint sie zu verstärken, wo er kann. Schließlich sucht er die abgelegenen Wege, möchte niemandem begegnen. Und versteht dieses Verlangen selbst nicht, schließlich „habe ich doch nichts begangen, dass ich Menschen sollte scheu´n.“

Das hat nichts von der Neugierde, die einen dazu bringt, ungewohnte, neue Wege zu gehen.

Im Wald zwei Wege boten sichmir dar, und ich ging den, der weniger betreten war. (Walt Whitman)

Ich denke, er befindet sich in einer Art psychischer Abwärtsspirale, in der er zu erkennen glaubt, dass dies sein letzter Weg sein würde.

https://www.youtube.com/watch?v=uC8QYIonHpc

Gruß Wolfgang

Das denke ich auch, zumal er auf seiner nächsten Station, dem Totenacker, eine neue Enttäuschung erlebt, dass er immer noch nicht am Ziel ist:“ Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt“ …“nur weiter, immer weiter…“ und dennoch erleben wir bei der vermeintlich letzten Station, dem Leiermann, eine Überraschung, als er einen Menschen trifft, dem es anscheinend  noch schlechter geht als ihm und ihn auffordert, ihm Gesellschaft zu leisten:“ Wunderlicher Alter, willst du mit mir gehn…“
Aber man weiß es nicht, wie es endet, man kann sich nur seine eigenen Gedanken machen. Vielleicht lässt sich ja zu zweit die Einsamkeit leichter ertragen.

Liebe Grüße

Willi😀

Hallo

Wir gehen immer davon aus, dass Wilhelm Müllers Winterreise gegen Ende auf den erwünschten Tod des Protagonisten hinweist. Ich frage mich manchmal, ob es stimmt.

Wunderlicher Alter,
Soll ich mit dir geh’n?
Willst zu meinen Liedern
Deine Leier dreh’n?

Kürzlich habe ich gelesen, Schubert hätte die Vertonung zunächst in einer höheren Tonlage vorgesehen.

Kann es nicht auch sein, dass er in dem Leiermann und seinem Elend jemanden sieht, dem sich der Wanderer zuwenden kann und mit dem er seinen Teufelskreis der Einsamkeit verlässt?

Hier die Gesamtaufnahme mit dem isländischen Bariton Jóhann Kristinsson und Ammiel Bushakevitz aus dem Jahr 2022. Bislang habe ich daraus nur den „Lindenbaum“ gehört, der sehr langsam und elegisch daher kommt, seine Wirkung auf mich allerdings nicht verfehlt hat.

https://www.youtube.com/watch?v=GDBPiW3KCbo

Gruß und Gute Nacht

Wolfgang

uhrand hat auf diesen Beitrag reagiert.
uhrand

Lieber Wolfgang,

Ich hatte die Vorstellung, der wunderliche Alte stelle den Tod dar, mit dem der Wanderer natürlich gerne weggeht, denn das war schließlich sein Ziel „auf dieser ganzen Reise“.

Natürlich kann man das auch anders sehen: viele Kommentare gehen neuerdings eher in deine Richtung 🙂.

LG André

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