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REIMANN, Aribert: GESPENSTERSONATE

Aribert Reimann (1926-2024):
GESPENSTERSONATE
Kammeroper in drei Teilen

Libretto von Uwe Schendel und dem Komponisten
nach August Strindbergsgleichnamigem Kammerspiel.

Uraufführung am 25. September 1984 in Berlin, Deutsche Oper im Hebbel-Theater.

Personen der Handlung:
Der Alte, Direktor Hummel (Bassbariton)

Der Student Arkenholz (Tenor)
Der Oberst (Charaktertenor)
Die Mumie, Frau des Herrn Oberst (Alt)
Das Fräulein, ihre Tochter (Sopran)
Johannsson, Diener bei Hummel (Tenor)
Bengtsson, Bedienter beim Herrn Oberst (Bariton)
Die dunkle Dame, Tochter des Toten (Mezzosopran)
Die Köchin beim Oberst (Alt)

Ort und Zeit: Irgendwo in Schweden, Gegenwart.

Erster Teil.
Erdgeschoss und erstes Stockwerk der Vorderseite eines modernen Hauses, die im Erdgeschoss mit einem runden Salon und im ersten Stockwerk mit einem Balkon und einer Flaggenstange abschließt. Durch das offene Fenster sieht man bei offenem Vorhang die weiße Marmorstatue einer jungen Frau, hell beleuchtet von Sonnenstrahlen. Im Fenster links sieht man Hyazinthen in Töpfen, blaue, weiße, rosa. Auf dem Geländer in der Ecke des Balkons, eine Treppe nach oben, eine blauseidene Bettdecke und zwei weiße Kissen. Die Fenster links sind mit weißen Betttüchern verhängt. Es ist ein heller Sonntagmorgen. Im Vordergrund vor dem Hause steht eine grüne Bank. Rechts im Vordergrund ein Springbrunnen, links eine Anschlagsäule.

Wenn sich der Bühnenvorhang geöffnet hat sieht man den alt gewordenen Direktor Jakob Hummel vor dem Haus im Rollstuhl sitzen und Zeitung lesen. An einem nahen Brunnen steht der Student Arkenholz und bittet ein plötzlich auftauchendes Milchmädchen um die Schöpfkelle, damit er sich sich einen Schluck Wasser aus dem Brunnen heben kann. Man muss als Zuschauer allerdings wissen, dass jenes Milchmädchen ein Geist ist, den nur das Sonntagskind Arkenholz sehen kann. Der Student erzählt dem Milchmädchen, wie er in der vergangenen Nacht geholfen hat, die Opfer eines Hauseinsturzes zu versorgen. Direktor Hummel, der gerade von dem Hauseinsturz in der Zeitung gelesen hat, fragt sich, mit wem der junge Mann spricht, denn er kann das Milchmädchen nicht sehen. Hummel vergleicht das Bild von Arkenholz in der Zeitung mit dem Studenten am Brunnen und gesteht sich, dass er ihm bekannt vorkommt. Es stellt sich sodann in einem persönlich geführten Gespräch heraus, dass Hummel und der Vater des Studenten vor vielen Jahren in ein Spekulationsgeschäft verwickelt waren, durch das Arkenholz senior ruiniert wurde. Jakob Hummel fühlte und fühlt sich noch heute daran völlig schuldlos und behauptet, er hätte durch Vater Arkenholz selbst seine Ersparnisse verloren. Er bietet dem verarmten Studenten eine Stellung in seinem Haus an und stellt ihm dessen Bewohner und deren Beziehungsgeflecht vor: Da ist der Oberst, der durch das Fenster zu sehen ist. Dessen Frau, sagt Hummel, sei von ihrem Mann geschlagen worden, woraufhin sie ihn verlassen habe, dennoch aber zurückgekehrt sei. Jetzt hocke sie als ‚Mumie‘ im Haus und verehre ihre eigene Statue. Beide hätten übrigens eine Tochter, die auch im Hause wohne, im so genannten Hyazinthenzimmer. Außerdem wohnt noch eine alte Frau dort, die man übrigens gerade am Fenster stehen sieht, und die vor Jahren seine – Hummels – Braut war. Jetzt ist ihr Geist aber so verwirrt, dass sie ihn nicht mal erkennt, wenn sie sich im Treppenhaus begegnen würden. Und diese Alte habe eine Tochter – Kind einer Liaison mit einem verstorbenen Konsul – die dunkle Dame. Diese Tochter, so erzählt Hummel weiter, sei mit dem noch verheirateten Schwiegersohn des Konsuls verlobt, der sich aber bald scheiden lassen wolle. Zu seinem Entsetzen sieht Arkenholz jetzt den Geist des toten Konsuls.

Hummels Diener Johansson tritt auf und flüstert Hummel etwas ins Ohr, wonach sich der Hausherr vom Diener um die Hausecke schieben lässt, von wo er „die Armen“ belauschen will. Johansson kommt zurück und gesteht Arkenholz, dass sein Herr eine grausame Ader habe, in dem er seine Feinde töte und niemals vergeben könne. Er, Johansson, fühlt sich wie Hummels Sklave. Jakob Hummel hat inzwischen eine Gruppe von Bettlern um sich versammelt, dirigiert sie um die Hausecke zu Arkenholz und fordert sie auf, dem Studenten zu huldigen. Arkenholz versteht das alles nicht.

Zweiter Teil.
Im Dunkeln erscheinen hinter einer Tapetentür die Umrisse der ‚Mumie‘, die nach einem kurzen Monolog, einem ergänzten Gedicht Strindbergs über die Einsamkeit, wieder verschwindet. Im runden Salon des Oberst sieht man im Hintergrund einen weißen Ofen mit Uhr und Kandelabern und einem Spiegel darüber; rechts Vorzimmer mit der Perspektive in ein grünes Zimmer mit Mahagonimöbeln; links steht die Statue, von Palmen beschattet, die man mit einem Vorhang verhüllen kann; links im Hintergrund Tür nach dem Hyazinthenzimmer, wo das Fräulein sitzt und liest. Man sieht den Rücken des Obersten, der im grünen Zimmer sitzt und schreibt.

Hummels Diener Johansson und Bengtsson, der Diener des Herrn Oberst, bereiten gemeinsam das von ihnen „Gespenstersouper“ genannte Treffen der alten Hausbewohner vor. Das geschieht übrigens regelmäßig seit zwanzig Jahren; und seit dieser Zeit hat sich eines nicht geändert: alle schweigen oder knabbern, über Belangloses plaudernd, Gebäck. Bengtsson weist Johansson auf die Frau des Oberst hin, die wegen ihrer Lichtempfind-lichkeit in der Garderobe haust, wie eine Mumie aussieht und sich für einen Papagei hält. Sie kommt kurz aus der Garderobe, plappert wie ein Papagei und trägt dann den Originaltext eines Monologs in schwedischer Sprache vor.

Zu diesem Treffen erscheint – uneingeladen – auch Hummel. Seine einstige Geliebte Amalie stellt ihn zur Rede. Sie teilt ihm mit, dass sie ihrem Mann bereits alles über ihre Beziehung erzählt habe, und will wissen, warum er ihre Tochter Adele, die in Wirklichkeit doch sein Kind ist, mit dem Studenten Arkenholz verkuppeln wolle. Hummel versichert ihr, dass der durch ihn bald reich sein werde. Amalie wirft Hummel seine Verbrechen vor. Der rechtfertigt sich damit, dass er sich rächen musste, weil der Oberst seine Braut verführt habe.

Jetzt hat der Herr Oberst seinen Auftritt: er kommt ins Zimmer und will von Hummel wissen, warum er, erstens, seine Schuldscheine gekauft habe, und, zweitens, was er damit vorhabe. Hummels verlangt, von nun an jederzeit in das Haus gelassen zu werden, da es jetzt ihm gehöre. Diener Bengtsson, verlangt er, müsse entlassen werden. Außerdem kann Hummel beweisen, dass der Oberst seinen Adelstitel erschwindelt und seinen militärischen Rang längst verloren hat. Er war einst Lakai und Schmarotzer in einer gewissen Küche. Vorerst will Hummel dies jedoch für sich behalten.

Der Oberst geht darauf nicht ein und begrüßt den nun eintreffenden Studenten Arkenholz und die anderen Gäste und stellt sie einander vor: seine Tochter (die immer im Hyazinthenzimmer sitzt), Fräulein Holsteinkrona (Hummels einstige Verlobte), Baron Skansorg (ein Juwelendieb) und die ‚Mumie‘. Während alle schweigen, hält Hummel einen Monolog, in dem er seine Mission in diesem Haus erläutert: Er wolle das Unkraut ausrotten, das Verbrechen enthüllen und seiner Tochter, die hier keine Luft bekomme, einen Neuanfang ermöglichen. Sobald die Uhr schlage, sei die Zeit der anderen um. Er schlägt mit seiner Krücke auf den Tisch. Da erhebt sich die Mumie und erklärt, dass sie die Zeit aufhalten könne. Außerdem sei auch Hummel ein Verbrecher, ein Menschendieb, der falsche Versprechungen abgab, gestohlen und den Konsul persönlich ermordet habe, um ihm seine Schuldscheine abzunehmen. Er habe auch den Studenten durch falsche Behauptungen über dessen Schulden gestohlen. Über ein weiteres Verbrechen Hummels wisse Bengtsson besser Bescheid. Der Diener enthüllt, dass Hummel zwei Jahre lang wie ein Schmarotzer in seiner Küche gelebt habe. Auch habe er das Milchmädchen aufs Eis gelockt und ermordet, da es Zeuge eines seiner Verbrechen war. Die Mumie befiehlt ihm, die Schuldscheine und das Testament herauszugeben, in ihren Wandschrank zu gehen und sich dort zu erhängen. Hummel gehorcht, und die Mumie verschließt die Tür hinter ihm: „Es ist vollbracht! Gott sei seiner Seele gnädig!“

Dritter Teil.
Ein Zimmer in etwas bizarrem Stil, mit orientalischen Motiven. Überall Hyazinthen in allen Farben. Auf dem Ofen steht ein großes Buddhabild mit einer Blumenzwiebel zwischen den Knien, aus der der Stängel einer Askalonzwiebel emporgeschossen ist, den kugelförmigen Blütenstand mit den weißen Sternblumen tragend. Im Hintergrunde rechts eine Tür nach dem runden Salon: dort sieht man den Obersten und die Mumie beschäftigungslos und stumm sitzen, nur ein Stück des Totenschirms ist sichtbar; links eine Tür nach der Anrichte und der Küche.

Adele trägt ein Gedicht von Strindberg über den Verborgenen (Gott), die Güte und die Vergebung vor. Der Student unterhält sich danach mit ihr über die Blumen, die sie seit ihrer Kindheit liebt, obwohl sie ihre Liebe nicht erwidern und sie sich von ihrem Duft betäubt fühlt. Arkenholz erzählt ihr das Geheimnis der Blumen: Die Wurzelscheibe, die auf dem Wasser ruht, ist die Erde; der Stängel steigt empor, gerade wie die Weltachse, an seinem oberen Ende sitzen die sechsstrahligen Sternenblüten. Adele ergänzt den Bezug zu den Sternen: Der Sirius, gelb und rot, ist die Narzisse mit ihrem gelben und roten Kelch und den sechs weißen Strahlen. Beide erkennen, dass sie einen gemeinsamen Gedanken teilen. Doch als der Student sie fragt, ob sie seine Braut sein wolle, bittet Adele um Aufschub und Geduld.

Die Köchin erscheint in der Tür und singt ihr Vampirlied: Sie saugen, sie saugen den Saft aus uns und wir aus ihnen. Adele fürchtet sie, weil sie zur Vampirfamilie Hummels gehöre und sie auffresse. Obwohl sie ihren Gerichten alle Kraft entziehe, sei es nicht möglich, sie zu entlassen, den sie sei eine der Prüfungen im Haus. Der Student erläutert ihr seine Lehre aus seiner eigenen von Irrtümern und Täuschungen durchsetzten Geschichte: Durch zu langes Schweigen bildet sich stillstehendes Wasser, das fault, und so ist es hier im Hause auch. Er habe das Haus zuerst für ein Paradies gehalten, doch der Oberst war nicht echt und sein vermeintlicher Wohltäter entpuppte sich als Verbrecher: „Wo gibt es Wahrheit? Wo gibt es Glauben? Wo findet man das, was hält, was es verspricht?“ Er vermutet, dass Adele ihn nicht heiraten wolle, „weil Sie krank sind am Quell des Lebens“. Sie entgegnet verzweifelt: Wehe! Wehe über uns alle. Erlöser der Welt, erlöse uns, wir vergehen! Sie bricht wie tot zusammen. Arkenholz singt ihr als Nachruf ein Schlaflied: Und wenn du dann wieder erwachst, möge dich eine Sonne grüßen, die nicht brennt. Ein weißes Licht füllt das Zimmer. Zum Abschluss wiederholt Arkenholz Adeles Lied vom Beginn des dritten Teils: Die Sonne sah ich. So mir schien es, da ich schaute den Verborgenen.

Anmerkungen.
Die hier vorgestellte Kammeroper Die Gespenstersonate entstand 1982/1983 als ein Auftragswerk der Berliner Festspiel GmbH. Das Libretto basiert auf August Strindbergs  Spöksonaten, das der Komponist zusammen mit Uwe Schendel ins Deutsche übersetzte und für die Musik einrichtete. Seine Fassung folgt im Wesentlichen der dramatischen Struktur der Vorlage. Im zweiten Teil fügte er ein Gedicht Strindbergs hinzu, straffte den Text und veränderte ihn an manchen Stellen. Die Dialogtexte ordnete er teilweise anderen Personen zu. Davon betroffen ist beispielsweise der Dialog zwischen Adele und Arkenholz im dritten Teil. Nach seiner Oper Ein Traumspiel von 1964 ist dies bereits Reimanns zweite Vertonung eines Strindberg-Dramas. Die Partien schrieb er den Sängern der Uraufführung, darunter besonders der Darstellerin der Mumie, Martha Mödl, auf den Leib, indem er mit dem Ensemble zeitweilig „im Geiste gelebt“ hatte.

Die Uraufführung durch die Deutsche Oper Berlin fand am 25. September 84 im Rahmen der Berliner Festwochen 1984 im Hebbel Theater statt. Friedemann Layer (ehemals erster Kapellmeister an der Deutschen Oper am Rhein) dirigierte das Ensemble Modern und die Junge Deutsche Philharmonie. Die Inszenierung stammte von Heinz Lukas Kindermann, Kostüme und Bühnenbild von Dietrich Schoras. Es sangen Hans Günter Nöcker (Alter, Direktor Hummel), David Knutson (Student Arkenholz,) Horst Hiestermann (Oberst), Martha Mödl, (Mumie), Gudrun Sieber (Fräulein), Donald Grobe (Johansson), William Dooley (Bengtsson), Barbara Scherler (dunkle Dame). Kritiker bewerteten die Oper anschließend als Reimanns bislang bestes Musiktheaterstück.

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