informativ

diskussionsfreudig

meinungsbildend

kooperativ

Troubadour-Forum für die Freunde der Oper, des Gesangs und der Klaviermusik

Hallo und herzlich Willkommen im Troubadour Forum!

Danke für den Besuch unserer Website. Hier kannst du als Gast in den Hauptthemenbereichen Oper, Operette, Oratorium, Lied und Klavier mitlesen, dich umfangreich informieren und den Meinungsaustausch verfolgen. Den vollen Nutzen des Forums hast du allerdings nur, wenn du angemeldet und registriert bist. Dann kannst du alle Funktionen und Bereiche des Forums uneingeschränkt nutzen. Das heißt, du kannst eigene Beiträge schreiben und einstellen, auf Beiträge anderer Nutzer antworten, eigene Threads eröffnen, mitdiskutieren und dir durch die eigene Mitwirkung ein oft durch intensive Diskussionen erhelltes Meinungsbild schaffen. Das Troubadour-Forum geht über die rein lexikalische Funktion bewusst hinaus. Deshalb haben wir einen Servicebereich aufgebaut, indem du Hilfestellungen bei Anschaffungen, Besuch von Veranstaltungen und Festivals, Aufbau von Bild- und Tonträgerdokumenten und Antwort auf deine Fragen erhalten kannst. Wir verstehen uns jedoch auch als Begegnungsstätte zwischen neuen und erfahrenen Musikfreunden, zwischen Jung und Alt, persönliche Kontakte unter den Nutzern sollen erlaubt und ermöglicht werden. Wir würden uns freuen, wenn du bei uns mitmachst und eventuell auch neue Themen und Ideen einbringst.

Bitte oder Registrieren, um Beiträge und Themen zu erstellen.

TELEMANN, Georg Philipp: BROCKES-PASSION

Georg Philipp Telemann (1681-1767):
DER FÜR DIE SÜNDEN DER WELT GEMARTERTE UND STERBENDE JESUS
(Brockes-Passion, 1712)

Passionsdichtung von Barthold H(e)inrich Brockes

Uraufführung(en) am 2.und 3. April 1716 in der Barfüßerkirche zu Frankfurt am Main.

Besetzung:
Sopran 1: Tochter Zion 1, Gläubige Seele 1, Maria, 3. Magd

Sopran 2: Tochter Zion 2, Gläubige Seele 2, 2. Magd
Mezzosopran: Judas, Gläubige Seele 3, 1. Magd
Tenor 1: Petrus, Pilatus, Gläubige Seele 4, Hauptmann
Tenor 2: Evangelist, Gläubige Seele 6
Bass: Jesus, Gläubige Seele 5

Instrumentarium Bläser: 2 Flauto traverso, 3 Blockflöten, 2 Oboen, 1 Fagott, 2 Hörner und 1 Trompete
Instrumentarium Streicher: Streichquartett, Viola d’amore
Theorbe (Laute)
Tasteninstrumente: Cembalo und Orgel

1. Musik und Text der Brockes-Passion.
Telemann hat zwei Arten von Passionsmusiken geschaffen: einmal die an den Bibeltext gebundene und für den Gottesdienst bestimmte Musik, und die andere mit einem gedichteten Text, die im Konzertsaal aufgeführt wurden. Zu dieser zweiten Kategorie ist die Brockes-Passion zu zählen, die Johann Mattheson als „geistliche Oper“ charakterisiert hat.

Barthold Heinrich Brockes (der zweite Vorname wird manchmal auch Hinrich geschrieben) hat mit seiner Passionsdichtung einen herausragenden Text (1712) verfasst, der sofort weite Verbreitung fand und viele Komponisten zur Vertonung angeregt hat: bis heute kann man 13 Kompositionen nachweisen, darunter die von Reinhard Keiser, Georg Friedrich Händel und Telemann zeitgleich 1716, und die von Johann Mattheson (1718). Später kamen noch Johann Friedrich Fasch, Gottfried Heinrich Stölzel und eine Pasticcio-Fassung hinzu.

Die Ursachen für diese vielen Kompositionen innerhalb einer engen Zeitspanne kann ich nicht benennen, aber ich könnte mir denken, dass der Textdichter eine treibende Kraft war, zumal er mit einigen der benannten Musiker persönlich bekannt war.

In seiner selbst geschriebenen Biografie (1718) hat Telemann bekannt, dass er von Brockes Passionstext sofort gefangen genommen wurde und mit „allen Kennern“ der Meinung war, dass sie „unverbesserlich“ sei. Das wird der Grund gewesen sein, warum er sich – wahrscheinlich – sofort an die Komposition gemacht hat, denn die Uraufführung(en) fanden am 2. und 3. April 1716 in Frankfurt/Main statt. Man hatte zunächst den Saal des Armen- und Waisenhauses vorgesehen, musste aber wegen des übergroßen Andrangs in die lutherische Barfüßerkirche umziehen. Zur Teilnahme berechtigte ein Libretto-Druck, der am Kircheneingang gezeigt werden musste. Noch 1740 berichtete der Komponist in seiner Autobiografie, dass
die Kirchentüren mit Wache besetzt waren, die keinen hineinließ, der nicht mit einem gedruckten Exemplar dieser Passion erschien.

Musikhistorier sehen in darin die ersten öffentlichen Kirchenkonzerte gegen Bezahlung; tatsächlich gibt es für Frankfurt und andere Städte keine Nachahmungen – mit der Ausnahme eines Karwochen-Gottesdienstes mit Telemanns Oratorium in der Schloss-Kirche zu Karlsruhe im Jahre 1719.

2. Telemanns Vertonung.
Auffällig ist die offensichtliche Nähe der Passionsmusik zum Genre der Oper. Nach einer ausgedehnten Sinfonia folgen einunddreißig Arien, von denen aber nur acht die charakteristische Da-capo-Form haben. Dafür gibt es zwei Arien mit einer zweiten Strophe als B-Teil, eine mit obligatem Chor, mehrere Ariosi und Duette; es gibt ein Terzett, ein Quartett, zwölf Turbachöre, vierzehn Accompagnati und zahlreiche Secco-Rezitative – aber, und das ist für ein barockes Passions-Oratorium bemerkenswert, nur vier Einschübe mit Chorälen.

Die Ouvertüre, mit Sinfonia überschrieben, ist eine tiefempfundene Einleitung in das Passionsgeschehen. Es gibt zwar aufhellende Töne, aber der zu erwartende Trauerbericht ist hier schon vorher musikalisch eingefangen. Und das fällt besonders beim Chorgesang der „Gläubigen Seelen“, direkt nach der Sinfonia, auf:
Mich vom Stricke meiner Sünden zu entbinden,
wird mein Gott gebunden.
Von der Laster Eiterbeulen mich zu heilen, lässt er sich verwunden. (…)
Telemann beabsichtigte, durch starke Affekte beim Zuhörer seelische Erschütterungen auszulösen – und das ist ihm auch gelungen. Es ist interessant, wie der Komponist die unterschiedlichen Personen und die Allegorien kennzeichnet. Er nutzt alle Möglichkeiten der Gestaltung in den Arien und bezieht dabei auch die Instrumente ein, wie Travers- und Blockflöten, Oboen, Trompeten, Hörner, Violetten (zur Gruppe der Gamben gehörend). So deuten die Hörner offensichtlich Geschehnisse im Zusammenhang mit Sünde, Tod und Teufel; die lieblichen Oboen zeigen die von Jesu Opfertod ausgehende Heilswirkung an. Man kann den Trompetenklang als Siegesinstrument deuten, denn sie werden z. B. in der Arie der Tochter Zion „Wisch ab der Tränen scharfe Lauge“ eingesetzt – und dort wird die Grundaussage des Ostergeschehens formuliert: Jesu Sieg über das Verderben und damit Erlösung von den Sünden.

Die theatralischen Gestaltungsmöglichkeiten hat Telemann voll ausgenutzt und dabei die Nähe zur Oper nicht gescheut. Man kann das deutlich an der Arie der Tochter Zion „Schäumest du, du Schaum der Welt“ oder auch beim Terzett der drei Gläubigen Seelen „O Donnerwort“ ablesen: Virtuosität und Koloraturen rücken diese Ensemblesätze nah an die Oper heran. Scharfe Harmonien und Akkordrückungen zeichnen Jesu Todesängste im Garten Gethsemane fast schon plastisch nach. Im Accompagnato „Welch ungeheurer Schmerz“ und in der Arie „Heul du Schaum der Menschenkinder“ werden Qualen deutlich mit chromatischen Wendungen plastisch ausgemalt.

Insgesamt muss man feststellen, dass Telemann den Brockes-Text dramatisch auffasst und dadurch in der musikalischen Ausformung der Oper, der barocken Oper, nahe kommt. In der Konsequenz heißt das aber auch, dass man diese Passionsmusik nicht mit der eines Johann Sebastian Bach vergleichen kann. In der geistigen Durchdringung sind sowohl die Johannes-, als auch die Matthäus-Passion der Musik Telemanns für Brockes überlegen. Das soll aber nicht als Negativum verstanden werden; die hier vorgelegte Brockes-Passion ist jedenfalls ein Meisterwerk, das von vielen Zeitgenossen „in den Himmel gehoben“ wurde.

Feststellen muss man auch, dass die später in Hamburg aufgeführte Version von der Frankfurter „Original-Fassung“ abweicht. Vor allen Dingen die Turba-Chöre waren rezitativisch angelegt und deklamierten den Text syllabisch. Auch wichen einige Arien in der Instrumentation voneinander ab, vor allen Dingen waren die Änderungen ab den 1720er Jahren in Hamburg durch mannigfaltige Änderungen gezeichnet, die hier in einer ausführlicheren Form nicht erwähnt werden können. Aus zeitgenössischen Berichten ist außerdem bekannt, dass oftmals nicht die ganze Passion, sondern nur einzelne Teile daraus musiziert wurden. Oder, was auch vorgekommen ist, die beiden Teile wurden an zwei Tagen aufgeführt.

Georg Philipp Telemann (1681-1767): Brockes Passion (1719), 2 CDs

© Manfred Rückert

Kontakt
Telefon: 0178-1069333
E-Mail: info@troubadour-forum.de

Gestaltung Agentur kuh vadis