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Opernkritiken unseres Mitgliedes Klaus Billand

In diesem Thema veröffentliche ich nach Absprache mit unserem Mitglied Klaus Billand Opernrezensionen, die er u. a. im Neuen Merker, Wien, veröffentlicht.

Liebe Grüße

Willi

Beginnen möchte ich mit seiner letzten Rezension, die ich im Merker vom Juli dieses Jahres gelesen habe und die mich deswegen so interessiert hat, weil ich in der gleichen Inszenierung, in der er voer wenigen Wochen war, im Oktober 2019,  ein gutes halbes Jahr nach der Premiere dieser Inszenierung in der Oper Leipzig gesessen habe und weil ich in so vielen Aspekten, die er in der Rezension schildert, so ähnlich gefühlt und gedacht habe:

LEIPZIG/Oper/ „Wagner 22“: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER.

 Imposantes Holländer-Schiff…

LEIPZIG/WAGNER 22: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER am 25. Juni 2022

Nach den drei Frühwerken ging beim Marathon WAGNER 22 in Leipzig am 24. Juni der Bayreuther Kanon los mit dem ersten Werk, welches Wagner dafür auserwählt hatte, dem „Fliegenden Holländer“. Die Inszenierung des niederländischen Regisseurs Michiel Dijkema, auch für das Bühnenbild verantwortlich, der damit wohl seine erste Wagner-Oper vorlegte, hatte ihre Premiere an der Oper Leipzig Ende März 2019. Sie setzte sich vielen Beobachtern im Gedächtnis fest wegen eines ungewöhnlich großen Holländer-Schiffes, ganz im Gegensatz zu den aktuellen, bisweilen völlig von jeglicher Schiffs-Phantasie abstrahierenden Inszenierungen, insbesondere solchen des Regietheater-Stils. Man merkte schon im Vorspiel, dass es Dijkema vor allem um das Geheimnisvolle und Unheimliche an dem Stück geht, wie es schon Wagner selbst fesselte und ihn zur Komposition motivierte. Man denke nur an seine dreieinhalbwöchige Flucht aus dem damals ostpreußischen Hafen Pillau, heute Baltijsk, mit dem Seelenverkäufer Thetis, der im Sturm fast untergegangen wäre,  über das Skagerrak bis nach London. Die Fahrt hatte ihn in seiner Ansicht bestärkt, diesen Stoff in eine Oper zu fassen. Er hatte ihn allerdings schon früher in Heinrich Heines Romanfragment „Aus den Memoiren des Herrn von Schnabelewopski“ kennengelernt.

Und genau hier setzt Dijkema mit seinem Regiekonzept, einem durchaus interessanten und dramaturgisch gut durchdachten, an. Senta stellt sich den Holländer eigentlich nur selbst vor, aber plötzlich beginnt er real zu existieren. Insofern repräsentiert sie auch unsere eigene Phantasie. Und wie sie den Spinnerinnen in der Ballade von der Geschichte des Holländers erzählt, wird die Oper auch eine Geschichte über das Erzählen von Geschichten, wie Dramaturgin Elisabeth Kühne im Gespräch mit dem Regisseur im Programmheft feststellt. Herr von Schnabelewopski berichtet aber auch von einem Besuch der Fabel vom „Fliegenden Holländer“ in einem Theater in Amsterdam. Und zwar wirft ihm dort eines schöne Blondine Orangenschalen auf den Kopf, was zu einer kurzen amourösen Unterbrechung – ohne weitere Erläuterungen – der Vorstellung für beide führt. Erst zur Schlussszene kommt von Schnabelewopski wieder in die Aufführung.

Die Naturgewalten der stürmischen Überfahrt und dieses amouröse, möglicherweise auch nur platonische Zwischenspiel mit der Blondine will Dijkema in seiner Regie miteinander verbinden. Und  man kann sagen, es ist ihm gelungen, auch wenn dazu ein Blick ins Programmheft zuvor hilfreich ist, aber immer wieder auch Text aus den Memoiren des Herrn von Schnabelewopski auf segelartigen, an Rahen hängenden Transparenten angeboten werden. So kann man das Geschehen in wesentlichen Etappen mitlesen, und es ist, auch schon aufgrund der veralteten Schreibweise des 19. Jahrhunderts, bisweilen recht amüsant. Gender-Apologetinnen hätten sicher ihre Freude an einer Formulierung für Senta wie „Frau fliegende Holländerinn“, mit zwei „n“ im Singular! Da es auf der Bühne immer viele Seilzüge für die Bewegung von Prospekten gibt, hat Dijkema diese kurzerhand mit den Tauen eines Segelschiffs assoziiert und lässt die Bewegung durch die Naturgewalten in schwebenden Rahen mit Segeln in mehreren gegeneinander versetzten Lagen zeigen. So kam er auch auf historische Zeichnungen und Kupferstiche von toten Walen, die vom Meer an den Strand gespült wurden, ausgespuckt von der Naturgewalt Meer wie der Holländer alles sieben Jahre. Man sieht auch mal einen wilden Meeresstrudel und als Hinweis auf die Geschichte im Amsterdamer Opernhaus auch immer wieder einen Blick in ein voll besetztes Opernhaus aus jener Zeit. So verbindet Dijkema beide so gegensätzlichen Aspekte auf überzeugende Art und Weise.

Statt des Holländer-Schiffes kommen also auf der riesigen Leipziger Drehbühne erstmal ein paar ebenso riesige tote Pottwale angeschwemmt, zwischen denen der Holländer langsam hervortritt. Daland wird ganz traditionell sofort mit allerlei Klunkern überhäuft. Jula Reindell hat die Kostüme des Holländer und seiner Besatzung aus der Zeit fallen lassen, während Daland und Erik überaus bieder gekleidet aus der Entstehungszeit der Oper um 1840 daherkommen, ja Erik mit seiner stets wechselnden Jagdbeute regelrecht „verdeppt“ gezeigt wird, wohl um die Distanz zum Geheimnisvollen des Holländers noch größer werden zu lassen. Einzig Senta, die große Innovatorin des Ganzen, erschient in etwas modernerem Design.

Der Regisseur wollte in Leipzig die drei Akte mit ihren Schlüssen zeigen, was man selten zu sehen und hören bekommt, zumal der „Fliegende Holländer“ in der Regel ja durchgespielt wird. Hier gibt es also eine Lichtpause zwischen dem 1. und 2. Akt und eine große Pause nach dem 2. Akt. Es war ungewöhnlich, aber interessant, einmal die Musik der Aktschlüsse zu hören. Man wollte damit auch andeuten, dass beim „Fliegenden Holländer“ noch die Nummernstruktur der italienischen Oper musikalisch durchscheint und Vorbilder wie Weber, Marschner oder Spohr anklingen.

Der große Knalleffekt kommt aber tatsächlich, nachdem die – wenig effektvoll – im Bühnenvordergrund schlafenden Holländer-Matrosen von den immer wilder feiernden Norwegern geweckt werden, langsam nach hinten gehen und das riesige Schiff mit den blutroten Segeln in Bewegung setzen, bis es sich über den ganzen Orchestergraben und über das erste Drittel des Parketts geschoben hat – eine bühnenbildtechnische Meisterleistung und absolut spektakulär. Hier erreichen das Geheimnisvolle und Unheimliche der Aufführung ihren wahren Höhepunkt. Wenn man anschließend überrascht ist, dass der Holländer schon mit Senta im Bett liegt – freilich in voller Montur – während Erik mit ihr über seine letzte Chance verhandelt, ist vielleicht zunächst überrascht. Man würde ja erwarten, dass der Ahasver erst im Finale in den Dialog der beiden hineinplatzt und die Reissleine zieht. Aber da sind wir wieder bei der Blondine und dem Herrn von Schnabelewopski bei ihrem kleinen amourösen Abenteuer, das die Blondine, hier also Senta selbst, mit ihm während der Oper gehabt haben könnte. Auf diese Idee muss man erstmal kommen! Aber sie stimmte perfekt.

Nur im 2. Akt stimmte einiges nicht. Denn wenn man schon so detailliert eine halbindustrielle Spinnerei darstellt, sollte man wissen, dass Seide aus den Kokons der Seidenraupe nicht durch deren Zerbrechen wie reife Kokosnüsse gewonnen wird, sondern durch ein rotierendes Fadenspinnen aus den auf einer Wasseroberfläche treibenden Kokons. Außerdem sind die Fäden in Leipzig nicht mit der Anlage verbunden, sodass diese sich oft grundlos dreht…

Der fliegende Holländer - Oper Leipzig

Imponierendes HolländerSchiff. Foto: Tom Schulze

Der eindeutige Star des Abends war Elisabet Strid mit einer bilderbuchartigen Interpretation der Senta. Strid hat nicht nur einen Sopran, der völlig problemlos bei einer äußerst tragfähigen und schön timbrierten Mittellage höchste Spitzentöne singen kann, wie bei der Ballade und im Finale. Sie dürfte nun  d i e  Senta unserer Tage sein. Thomas J. Mayer gab einen Respekt gebietenden Holländer, der die ganze Verzweiflung und Anstrengungen der Jahrhunderte, die er schon unterwegs ist, eindrucksvoll in seiner Person vereinigte. Sein Bariton ist kraftvoll und ebenfalls höhensicher, wirkte an diesem Abend aber etwas zu oft forciert und verlor damit bisweilen an Klangschönheit. Dem Bass von Randall Jakobsh in der Rolle des Daland fehlt es an Wärme und Klangschönheit. Er überzeugte aber darstellerisch. Vincent Wolfsteiner als Erik bringt durchaus die heldentenoralen Qualitäten mit, die Wagner dieser Rolle zugeschrieben hat, könnte aber etwas mehr Resonanz haben. Karin Lovelius war eine gute und respektgebietende Mary. Sven Hjörleifsson als Steuermann beeindruckte mit einem gut geführten lyrisch betonten Tenor und Agilität unter den norwegischen Seeleuten. Wieder faszinierte der in der Tat sehr gute und wie immer von Thomas Eitler-de Lint einstudierte Chor und Zusatzchor der Oper Leipzig, die im Sturm gleich zu Beginn ihre aufregenden bühnentechnischen Möglichkeiten zur Schau stellte mit einem sich innerhalb der Drehbühne gegensätzlich drehenden Norwegerschiff.

 GMD Ulf Schirmer stand diesmal am Pult des Gewandhausorchesters, und es stellte sich schnell der Eindruck ein, dass nun mit mehr Detailfreude und Nuancenreichtum musiziert wurde. Schirmer legte meist dynamische Tempi vor, wie es weitgehend zu diesem Stück und eben auch zu dieser Inszenierung passte. Und er kontrollierte die Lautstärke. So entstand eine musikalische Darbietung aus einem Guss.

Am Schluss steigt Senta (als Double) hoch in die Rahen. Ein Schatten dokumentiert ihren Todessturz. Der Holländer steht noch einen Moment reglos da und fällt dann im Kostümstaub zusammen. Er ist erlöst! Ein toller Trick, eigentlich gar nicht so schwer, aber man muss auf ihn kommen. Und Phantasie haben Dijkema and sein Team mit dem Lichtdesigner Michael Fischer in dieser Produktion vielfach an den Tag gelebt.   
 © Klaus Billand

Liebe Grüße

Willi?

BERLIN/Deutsche Oper: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am 18. Juni 2022

 „Die Meistersinger“ nach Richard Wagner

Mit den neuen „Meistersingern von Nürnberg“ an der Deutschen Oper Berlin lieferte das Regie-Trio Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito nach ihrem völlig gegen die Wagnersche Dramaturgie inszenierten „Lohengrin“ bei den diesjährigen Salzburger Osterfestspielen ein weiteres „Meisterstück“ ihrer stückeverfremdenden, ja bisweilen im Gegensatz zum eigentlich Komponierten stehenden „Regieversuche“ ab. Denn von einem Regie-Konzept mag man auch angesichts der dabei wie auch in Salzburg zahlreichen handwerklichen Fehler gar nicht erst reden. Nicht zuletzt sie führten auch zu einer mehr oder weniger großen Verständnislosigkeit beim Publikum. Anna Viebrock, eigentlich bisher immer nur als Bühnenbildnerin geführt und auch im Dramaturgen-Gespräch mit Sebastian Hanusa im Programmheft auf das Bühnenbild angesprochen, die also nun offenbar Regisseurin und Bühnenbildnerin in Personalunion ist, meint zunächst einmal, dass man „so ein Stück erst einmal richtig kennenlernen“ muss, „und versucht zunächst, den ganzen Ballast vorangegangener Inszenierungen zu ignorieren, um mit einem freien Blick auf das Stück selbst zu schauen.“ Das ist zunächst mal eine Binsenweisheit, und den sog. Ballast hat bereits Katharina Wagner in Bayreuth 2007 von Hans Sachs in die Tonne, einen Container, werfen lassen. Warum also immer wieder von vorn anfangen mit der Ballastbefreiung der „Meistersinger“? Könnte man nicht einmal auf eine ganz andere Idee kommen, möglicherweise aus dem Werk selbst heraus und den Intentionen Richard Wagners mit ihm?!

Nun, für Berlin hat das Trio, wie Anna Viebrock unterbreitet, in einem in den 1920er Jahren erschienenen Buch des deutschen Dirigenten, Intendanten und einflussreichen Musikkritikers Paul Bekker (1882-1937) mit dem Titel “Richard Wagner. Das Leben im Werke“ entdeckt, „dass es in den ‚Meistersingern‘ erst einmal um das Singen geht, genauer um den Vortrag des zu Singenden und um dessen Darstellung und damit eigentlich um das Theater.“ Auch Jossi Wieler ist überzeugt, dass das zentrale Thema des Stücks das Singen ist und damit die Welt der Musik. Das erscheint dem tatsächlichen oder vermeintlichen Kenner des Werkes sicher nicht allzu überraschend, bildet aber das entscheidende Motiv für den Regieversuch des Trios: Denn man abstrahiert kurzerhand von der Wagner angesichts der sozialen und politischen Situation um 1560 auf deutschem Boden so wichtigen Idee, die Standesbünde mit ihrem Freiheitsgedanken, der sich auch über die Kunst – wie das Meistersingen – artikulierte, in ihrer Bedeutung für den sozialen und kulturellen Zusammenhalt darzustellen.

Stattdessen dichtet man alle Figuren einfach fundamental um: Man verlegt das Stück kurzerhand in eine Musikhochschule. Pogner ist nicht mehr Goldschmied, sondern Gründer, Direktor und Mäzen in einer Person, der die Schule nun in eine Stiftung überführen will und einen geeigneten Schwiegersohn für seine Tochter Eva sucht, die diese dann leiten sollen. Hanz Sachs hat mit allem, nur nicht mit Schuhen zu tun, denn er ist nun der bunte unkonventionelle barfüßige Vogel, als Schlagzeuglehrer und Musiktherapeut ein Außenseiter, der sich um das Körperliche der Studenten kümmert. Natürlich fängt man damit das ebenfalls offenbar aus Aktualisierungsdrang gewünschte Thema der Übergriffigkeit ein, denn Sachs hat ein erotisches Verhältnis mit Eva. Professor Beckmesser ist wohl ein Gesangslehrer. David ist nicht mehr der angehende Liebhaber Magdalenas, sondern der Meisterschüler von Dozentin Magdalena, eine Anlehnung an den Jelinek-Roman „Die Klavierspielerin“ und seine Verfilmung durch Michael Haneke.

Und wenn es um eine Musikhochschule geht, hat sich Frau Viebrock gleich an die Münchner Musikhochschule erinnert, die sich ja im früheren „Führerbau“ in München befindet. Damit konnte sie gleich an das „Thema kontaminierter Räume und böser Orte anknüpfen“, das sie sehr interessiert. Damit war dann auch schon das auf Dauer enorm langweilende Einheitsbühnenbild vorgegeben, bei dem ihr Torsten Gerhard Köpf und Charlotte Pistorius assistierten, die beide als „Ko-Bühnenbild“ geführt werden, während es die Stelle „Bühnenbild“ nicht gibt. Das liest man normalerweise immer ganz anders. Es wurde also der unter solchen Umstanden zu erwartende große braune holzgetäfelte Saal mit einer Heizkörperbrüstung ganz hinten, auf der sich vor allem im 2. und im 3. Aufzug sehr viel abspielt und die Sänger nicht nur auf die große Distanz alleingelassen werden, sondern hinter sich auch noch einen bühnenhohen schallschluckenden Vorhang haben statt einer festen Resonanzkulisse. Denken die Regietheater-Apologeten eigentlich gar nicht mehr daran, dass diese Herrschaften auch noch singen müssen und ihr Gesang noch in der hintersten Reihe der obersten Ränge ankommen sollte?! Dazu gehört auch das eifrige Bodenturnen, das Sachs als Musiktherapeut absolvieren muss und nicht unbedingt stimmförderlich ist. Also gehen Sachs, Stolzing und David bei ihren Auftritten gern von ganz hinten nach vorn, um wahrgenommen zu werden.

Viebrocks Bühnenraum, der von Olaf Freese relativ variationsarm ausgeleuchtet wird, wenn man man von der Prügelszene absieht, ist übrigens „ein Hybrid durch die dort eingebauten, modernen Lehrerzimmer, die es so in München nicht gibt.“ Da sind kleine graue Zellen, in denen Sachs und andere Lehrer offenbar unterrichten. Aus einem Zimmer schafft er im 2. Aufzug einen Riesensack mit bunten Plastikschuhen auf die Bühne, die er dann zur allgemeinen Belustigung auf ihr verteilt und die später auf der „Festwiese“ den Nürnbergern als kollektives Schuhwerk dienen. Der an der Deutschen Oper bei Wagner wohl unverzichtbare Konzert-Flügel (Herheim-„Ring“) feiert auch hier fröhliche Urständ. Im 3. Aufzug spielt Beckmesser auf ihm sein Werbelied, während die Beckmesser-Harfe durch Virginie Gout-Zschäbitz aus dem Graben erklingt. Im 2. Aufzug, in dem laut Sergio Morabito in der Prügelszene „das Surreale, das Unheimliche und Irreale umfasst“ spricht Viebrock vom „Morphen meines Raumes“. Was aber dem Zuschauer tatsächlich auf die Nerven geht, ist das unentwegte Hereinbringen und wieder Wegräumen von Unmengen von Konferenzstühlen aus Holz und Stahl. Man meint manchmal, man befinde sich in Eugène Ionescos „Die Stühle“. Das Herumgetue mit dem Mobiliar untergräbt immer wieder auch eine sinnvolle Personenregie. Aber man erlebt in letzter Zeit immer mehr, dass beim Wagner-Theater Sänger und Choristen mit dem Beschaffen und Zurechtstellen ihres Sitzmobiliars zugange sind – offenbar ein neues Stereotyp, wohl kaum aber mehr als Einfallslosigkeit der Regie.

Es gibt auch vieles andere, was verstört und eigentlich gar nicht den strengen Regeln folgt, die das Regieversuchs-Trio den Musikhochschulen unterstellt, und erst recht nicht „dem bösen Ort“. So ist Hans Sachs offenbar Alkoholiker und einen Großteil des Abends mit einer Flasche Jack Daniels unterwegs, mit der er am Ende des 2. Aufzugs Stolzing fast zu Tode schlägt, um die Flucht zu verhindern und ihn im 3. erst wieder aufpäppeln muss. Da ist das Stück also alles andere als Komödie, wie zu sehen beim Einführungsvortrag empfohlen wurde. Während Sachs den Fliedermonolog auf der Turnmatte singt, kopulieren im Hintergrund über fast 20 Minuten – freilich züchtig in Rock und Hose – sechs Pärchen, er mit ihr, sie mit ihr und er mit ihm, ganz wie’s sich ergibt. Das vielleicht Tollste ist aber die Knutsch-Maus Eva, die, kaum ist der Vorhang oben (immerhin, er war zum Vorspiel mal geschlossen!), mit Stolzing um die Wette knutscht. Sie deutet sogar schon einen Kopulationsversuch im Stehen an, lange bevor er sie fragt, ob sie „schon Braut“ sei… So geht es den ganzen Abend weiter, bis zur „Festwiese“ wird geknutscht, wo man nicht mal die Aufforderung Sachsens wahrnimmt, das Preislied zu singen und noch vor dessen Schlussansprache das Opernhaus über das Parkett verlässt. Dass Sachs nach seiner Ansprache vom „eigenen Pathos eingeholt und geradezu verschluckt“ wird, wie Morabito, der hier neben Hanusa übrigens auch sein eigener Dramaturg ist, schreibt, ist durchaus einsichtig. Es hat aber mit der Figur, wie sie in dieser Produktion gezeigt wird, nichts zu tun – ein Sammelsurium von verschiedenen Assoziations-Aufforderungen, die dramaturgisch nicht ausgereift zusammengestellt wurden und den Betrachter auf jeden Fall im Nebel lassen, wenn er das Programmheft vorher nicht intensiv studiert hat. Die Pausen reichen nicht dazu.

Nun gab es trotz allem aber auch noch Sänger an diesem Abend. Der mit Abstand beste war Klaus Florian Vogt als Stolzing, der sich mit ihm sicher eine Paraderolle erarbeitet hat und sie nicht nur mit seinem belcantohaften Timbre schön phrasieren kann sondern auch durch einen relativ dramatischen Ausdruck viel Charakter in die Partie einbringt. Leider ist Heidi Stober als Eva alles andere als mit Vogt auf Augenhöhe. Ihre Stimme ist einfach zu klein, um der Figur, die sie aber sehr intensiv darstellt, die nötigen Konturen zu geben. Johan Reuter ist auch nicht wirklich ein großer Sachs und sollte es hier wohl auch gar nicht sein. Seiner Stimme fehlt es an heldenbaritonaler Klangschönheit, um voll überzeugen zu können. Hingegen ist Albert Pesendorfer ein – am Ende völlig verzweifelter – exzellenter Pogner mit seinem voluminösen und gut geführten Bass. Philipp Jekal schlägt sich in der hier noch viel undankbareren Rolle des Beckmesser mit Bravour. Sein Bariton ist klangvoll, hat Volumen, und der Sänger ist sehr musikalisch. Thomas Lehman singt einen guten bürokratischen Fritz Kothner. Annika Schlicht verleiht der Magdalena ihren üppigen Mezzo, während ihr Meisterschüler, wohl in Personalunion mit Sachs, Ya-Chung Huang als David, die Rolle in einer ganz ungewöhnlichen Konzeption bestens verkörpert, aber für sie doch eine zu kleine Stimme hat. Dass er zum Balance-Üben immer wieder auf einem Bein stehen muss wie ein Flamingo, zeugt zwar von guter gesanglicher Lehrpraxis, wirkt im Verlauf des Abends aber nur noch lächerlich. Dass die Stimme des Nachtwächters von Günther Groissböck aus dem Off klar hörbar über Tonband kommt, ist eine weitere Eigenart dieser Produktion, bisher noch nie gehört – und hoffentlich nie wieder! Die „kleinen Meister“ waren mit Gideon Poppe, Simon Pauly, Jörg Schörner, Clemens Bieber, Burkhard Ulrich, Stephen Bronk, Tobias Kehrer und Byung Gil Kim gut besetzt.

Markus Stenz leitete das Orchester der Deutschen Oper Berlin mit dem für dieses Ensemble gewohnt guten Wagner-Sound. Das Vorspiel klang fast etwas pathetisch und damit noch nicht so recht passend zu dem, was danach zu sehen war. Aber es gab immer wieder ruhige Momente, wo einzelne Gruppen und Soloinstrumente sich auszeichnen konnten und denen Stenz, der auch die Sänger stets gut im Blick hatte, den Raum dazu gewährte. Der von Jeremy Bines einstudierte Opernchor und der Extra-Chor der Deutschen Oper Berlin waren eine starke Säule des Abends mit großer stimmlicher Intensität und hoher Transparenz. Das „Wach auf!“ war eine Wucht!

Was aber einem Inszenierungsstil wie bei diesen „Meistersingern“ an der DOB vorgeworfen werden kann, ist eine nahezu völlige Nichtbeachtung des Librettos und der Partitur, also der Musik, die ja gerade bei Wagner so viel, wenn nicht alles aussagt. Aber daran glauben Regietheater-Regisseure wie dieses Trio scheinbar schon lange nicht mehr. Es geht nur noch um neue Deutungsversuche bis -hoheit unabhängig von der Musik und der ursprünglichen Motivation der Komponisten, das Stück überhaupt zu schreiben.

Derselbe Paul Bekker, der die Idee zur Verlegung der Handlung in eine Musikhochschule gab, schrieb zum 50. Todestag Wagners in der NZZ 154. Jg., Nr. 261 am 12. Februar 1933 zu Wagners Musik: „… indem er gleichzeitig die theatralische Spielkraft der Musik neu erkannte. Aus dieser Übereinstimmung von Handlung und Musik erwächst das theatralische Gesetz, erwächst die Magie der Wagnerbühne, erwächst die Besonderheit ihrer in sich stets wahren, dabei doch stets im Bannkreis des theatralischen Spieles bleibenden Scheinhaftigkeit.“ Steht im selben Programmheft!

Wenn es mit der Wagner-Rezeption so weiter geht wie in Berlin an der Deutschen Oper, sollte man in Zukunft schreiben „Die Meistersinger von Nürnberg“ nach Richard Wagner…                                   

  © Klaus Billand          

Liebe Grüße

Willi?

Sehr fördernd und nützlich, dass  langsam unsere angebahnten Netzwerke funktionieren. Klaus Billand ist ein international anerkannter Kritiker und Wagner-Experte. Ausgezeichnet, dass wir ausgewählte Rezensionen von ihm im Forum lesen können. 

Bravo, sagen die Sängerfreunde. Wir sollten noch mehr solche Kooperationen aufbauen.

Liebe Sängerfreunde,

ich habe von Klaus Blland die Zusicherung, alle seine Kritiken einstellen zu dürfen, und es werden in den nächsten Tagen die Kritiken zum Siegfried und zu der Götterdämmerung folgen. Was sich da zur Zeit in Bayreuth abspielt (siehe Thread Bayreuth 2022), wie ein Regisseur agiert, der noch nie zuvor Wagner inszeniert hat, könnte man vielleicht damit vergleichen, dass ein Architekt, der bisher nur Einfamilienhäuser gebaut hat, plötzlich vier bis zu tausend Meter hohe Wolkenkratzer in einem Erdbebengebiet errichten will.

Liebe Grüße

Willi?

BAYREUTH/ Festspielhaus: LOHENGRIN – Wiederaufnahme. Christian Thielemann bringt Bayreuth zurück, wo es musikalisch hingehört!

 

BAYREUTH/Festspiele: LOHENGRIN – WA am 4. August 2022

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Camilla Nylund (Elsa), Petra Lang (Ortrud) und Martin Gantner (Telramuns)

Christian Thielemann bringt Bayreuth zurück, wo es musikalisch hingehört!

 Gestern Abend war es nun so weit. Nach bisher recht durchwachsenen orchestralen Leistungen des auch noch mit zu wenigen Proben eingesprungenen Bayreuth-Debutanten Cornelius Meister im ebenfalls neuen, etwas aus dem Ruder laufenden „Ring des Nibelungen“, aber auch nach dem zu zögerlichen Debut von Markus Poschner am Premierenabend von „Tristan und Isolde“, stand nun das jüngere musikalische Bayreuther Urgestein Christian Thielemann am Pult des Festspielorchesters.

Immerhin bis vor kurzem noch Musikdirektor der Festspiele, dessen Vertrag man – künstlerisch unverständlicherweise – hat auslaufen lassen, sorgte Thielemann dafür, dass man wieder hören konnte, warum man vor allem – und leider immer mehr – nach Bayreuth kommt: Wegen des begnadet klingenden Festspielorchesters in der Wunderakustik des Festspielhauses, wenn es unter der erfahrenen Hand eines ebenso kenntnisreichen wie beseelten, Wagner lang schon liebenden und im Bayreuther Graben mit seinen Tücken – vor denen schon eine Georg Solti die Segel strich – gereiften Maestro seine ultimativen Qualitäten präsentieren kann.

Das war gestern Abend wieder der Fall. Thielemann erhielt vom ansonsten nicht immer beurteilungssicheren Bayreuther Premierenpublikum triumphalen Applaus. Da gab es dann „auch keine Fragen“, um mit „Arabella“ von Richard Strauss zu sprechen. Schon das im Irgendwo eines fernen Nirwanas zu beginnen scheinende Vorspiel mit den feinsten Linien der Violinen bis zum sorgfältig und zielstrebig aufgebauten grandiosen Tutti und seinem Verklingen in weiter imaginärer Ferne verhieß Bestes. Und – welch Glück! – endlich mal wieder vor einem vor geschlossenem Vorhang! Diese musikalische Qualität wurde im weiteren Verlauf in perfekter Harmonie beim allerdings rechts bewegungsarmen Bühnenschehen und mit bester Koordination des wieder herrlich singenden Festspielchores unter der Leitung von Eberhard Friedrich konsequent weitergeführt, ohne je an einen musikalisch langweiligen Punkt zu kommen.

Langweilig konnte es oben aber schon werden. Wunderbar anzuschauende Megaprospekte mit dunkel dräuenden Wolken in einem die ganze Produktion bestimmenden Delfter Blau mit allen denkbaren Schattierungen im – bisweilen zu schwachen – Licht von Reinhard Traub, zeitweise durchbrochen von kräftigen Sonnenstrahlen, nehmen den Zuschauer umgehend ein, auch mit Bühnenbildelementen in einem farblich kontrapunktischen Orange. Sie lassen Manches vergessen, was in ihrem Rahmen stattfindet. Denn eine lebhafte Inszenierung ist das nicht, zumal der Regisseur Yuval Sharon erst sehr spät in die Produktion kann, als schon alle Prospekte Von Neo Rauch und Rosa Loy gemalt, die Bühnenbilder erstellt und die Kostüme der beiden fertig waren.

Da ich die Premiere dieser Inszenierung 2018 und auch die Wiederaufnahme 2019 ausführlich rezensiert habe, stelle ich hier die beiden links ein und werde nicht weiter auf sie eingehen

(https://www.klaus-billand.com/deutsch/wagner/lohengrin/bayreuth-lohengrin-premiere-25-juli-2018.html und https://www.klaus-billand.com/deutsch/wagner/lohengrin/bayreuth-festspiele-lohengrin-wa-26-juli-2019.html).

Nur so viel: Dass Bayreuth eine Werkstatt sein soll, der alte Gedanke von Wieland und Wolfgang Wagner, hat sich an dieser praktisch unveränderten Inszenierung nicht bewahrheitet. Und nicht nur in dieser, wenn ich an den „Ring“ von Tankred Dorst 2006 denke….

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Camilla Nylund (Elsa), Klaus Florian Vogt (Lohengrin), Foto:
Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

So sei besonders auf die weitestgehend exzellenten und überaus festspielwürdigen Sänger eingegangen. Klaus Florian Vogt bewies einmal mehr, dass er wohl  d e r  Lohengrin unserer Tage ist. Sei helles und dabei äußerst eindringliches Timbre kommt mit einer gewissen klanglichen Aura genau dem astralen Charakter der Lohengrin-Figur entgegen. Dabei meistert er auch dramatische Steigerungen mit Leichtigkeit, wie vor ein paar Tagen erst bei seinem Siegmund erlebt. Darstellerisch ist Vogt ohnehin eine Offenbarung. Camilla Nylund ist mit ihrem klangvollen, warmen Sopran eine ebenso erstklassige Elsa. Auf jeder Note, auch der höchsten, weiß sie klangvoll zu singen. Dass dabei in den Höhen die Wortdeutlichkeit abnimmt, ist sicher auch der Lage geschuldet. Das dürfte bei der viel tiefer liegenden Ortrud nicht dem Maße passieren, wie es bei der ehemaligen Mezzosopranistin Petra Lang an diesem Abend zu hören war. Darstellerich wie immer eine großartige und boshafte Ortrud und Widersacherin des herrliches Paares, vermochte sie stimmlich, auch durch eine eigenwillige Gesangstrechnik, nicht ganz zu überzeugen. Martin Gantner war als Telramund hingegen eine absolute Luxusbestzung mit einem sehr kultivierten wortdeutlichen Bariton und in jedem Moment nachvollziehbaren Spiel. Georg Zeppenfeld war wie immer in dieser Produktion der souveräne Heinrich der Vogler mit einem charaktervollen und zu jeder Nuance fähigen Bass. Derek Welton glänzte stimmlich als Heerufer und meldete sich damit schon für den „Rheingold“-Wotan an. Michel Gniffke, Tansel Akzeybek, Raimund Nolte und Jens-Erik Aasbø waren die vier Edlen.

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Derek Welton (Heerrufer), Martin Gantner (Telramund), Georg Zeppenfeld (König Heinrich)
Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Dieser „Lohengrin“ geht nun aus dem Programm, damit kann man leben. Aber ob man damit leben kann, dass Christian Thielemann im kommenden Jahr nach jetzigem Stand nicht mehr auf dem Grünen Hügel dirigieren wird? Das erinnert mich an den Spruch des großen Wagner-Verehrers und legendären Vermittlers von Wahrheiten über die deutsche Seele, Vicco von Bülow, alias Loriot, was er über die Möpse sagte…

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Christian Thielemann beim Schlussapplaus, Foto: Klaus Billand

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Das Ensemble beim Schlussapplaus, Foto: Klaus Billand

© Klaus Billand aus Bayreuth

 

Liebe Grüße

Willi?

BAYREUTH/ Festspiele: TRISTAN UND ISOLDE. Premiere, Guter Start mit Potential zur Steigerung

BAYREUTH/Festspiele: TRISTAN UND ISOLDE – Premiere am 25. Juli 2022

Guter Start mit Potential zur Steigerung

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Stephen Gould, Foto: Enrico Nawrath / Bayreuther Festspiele

So stellt man sich den Wellnessbereich eines der ganz großen neuen Kreuzfahrtschiffe vor, die ja mit immer verrückteren Einfällen aufwarten, natürlich in der 1. Klasse: Ein eleganter ellipsenförmiger Pool mit schicken weißen lederbezogenen Ruhesesseln drum herum und, durch einen großen Ausschnitt im Oberdeck, freier Blick zunächst auf den blauen Himmel mit Schäfchenwolken und später auf den präzedierenden schwarzen Sternenhimmel wie aus einem Raumschiff, und so alles Mögliche zwischendurch. Immerhin sind wir mit Tristan und Isolde auf der für sie nicht ganz freiwilligen Überfahrt von Irland nach Cornwall, sodass die quirlenden blauen Video-Wassermassen (Luis August Krawen), die zunächst die Ellipse füllen, durchaus Sinn machen. Heiner Müller hatte seinerzeit zwei schmale, wässernde Lichtstreifen links und rechts des Geschehens, schon damals eindrucksvoll aufgrund der reduzierten Symbolik.

Die Vorteile einer vertikalen Verdoppelung der Spielfläche, wie sie nun der Bühnenbildner Piero Vinciguerra mit Regisseur Roland Schwab dem Bayreuther Premieren-Publikum vor Augen führte, sind evident. Schwab und Vinciguerra haben nicht zuletzt mit einer genialen Inszenierung des „Lohengrin“ in der Salzburger Felsenreitschule 2019 mit einem riesigen abgestürzten Jet sinnvoll von sich reden gemacht. Auf besonders eindrucksvolle Weise machte sich auch Itay Tiran in seiner ebenso genialen Inszenierung der „Salome“ 2019 an der Opera Tel-Aviv-Yafo diese Verdoppelung der Bühne mit einem großen Ausschnitt nach oben zu Nutze. Damit war im neuen Bayreuther „Tristan“ auch gleich ein abstrakter navaler Mehrdeckeindruck gesichert, wobei oben sehr gut zunächst die Silhouette Tristans als Wächter des Kurses nach Cornwall zu sehen ist, dann Kurwenal aktiv wird, König Marke erscheint und die abziehende Jagdgesellschaft im 2. Aufzug nur angedeutet wird, während später der Englischhorn-Solist zwischen Strandfelsen berührend sicht- und hörbar wird und der oft peinlich geratende finale Kampf dezent über die Oberbühne geht. Nicol Hungsberg steuerte das gut dimensionierte Licht bei, und Gabriele Rupprecht schuf modisch elegante Kostüme.

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Foto: Enrico Schaffrath / Bayreuther Festspiele

Das Oberdeck ist somit eine Spielfläche der zweiten Kategorie, ein kluger Schachzug, um sich unten ganz auf das Schicksal der Protagonisten zu konzentrieren. Und hier wird die quirlige Ellipse zum zentralen Instrument der Inszenierung. Denn offenbar nur Tristan und Isolde dürfen sie betreten, sie wird zum Spiegelbild ihrer und vor allem Tristans Emotionen, Begierden und Bedenken. Diese werden durch phantasievolle Video-Animation im Einklang mit der jeweiligen Situation nachvollziehbar in der Ellipse dargestellt. So färbt sich das zunächst typisch blau wirbelnde Wasser blutrot, als Isolde Brangäne von der tödlichen Geschichte Tristans und Morold erzählt. Und besonders eindrucksvoll wird es zum Ende des 1. Aufzugs, wenn sich Tristan und Isolde nach Genuss des Liebestrankes in einer Art rasendem Strudel immer mehr annähern, ohne sich jedoch zu berühren. Warum nicht?! Das Konfliktpotential für den 2. Aufzug wird jedoch auch so stringent vorgezeichnet.

Roland Schwab wollte das Stück aus der Musik heraus inszenieren, schonmal ein sehr guter Ansatz, den auch immer Peter Konwitschny verfolgt, ein Wagner-Kenner par excellence, der sich dennoch immer wieder mit mehr oder weniger Klarheit am deutungsschwangeren Regietheater versucht. Das ist hier nicht der Fall, es geht um story telling mit intelligentem Einsatz heutiger technischer Möglichkeiten des Theaters – insofern ein guter konzeptioneller, dramaturgischer und technischer Ansatz.

Für Schwab ist das „singuläre Kapitel des Stückes“, was auch den Enthusiasmus des Publikums erkläre, wie er in einem Gespräch mit Dramaturg Christian Schröder darstellt, dass man mit ihm der Welt abhanden komme und sich von ihr loslöse, „eine zelebrierte Weltflucht“. Das ist ganz sicher richtig, aber dafür bedarf es in einem Einheitsbühnenbild wie es sich in dieser Produktion darstellt – lediglich die Hängepflanzen von oben werden von Aufzug zu Aufzug länger – einer äußerst fein ausgefeilten Personenregie, eigentlich ein Gesetz, um der vergleichsweisen Langeweile des Enheitsbühnenbildes entgegenzuwirken. Man muss aber konzedieren, dass das leading team nur sehr wenig Zeit hatte, diesen „Tristan“ zu entwickeln, der als Joker eingesetzt werden soll, wenn wegen Corona Aufführungen der chorintensiven Opern der Festspiel-Saison ausfallen sollten.

Und an Personenregie fehlt es in dieser Neuinszenierung. Die an sich gute Idee, dass das Betreten der Ellipse nur den beiden Liebenden vorbehalten ist, führt dazu, dass alle anderen Charaktere marginalisiert werden. So darf Marke bei seinem immerhin sehr intensiv anklagenden Auftritt im 2. Aufzug nur um die Ellipse herumwandern, was noch viel problematischer bei Kurwenal im 3. Aufzug wird, der doch als sich für Tristan aufreibender Freund, zumal in dessen letzter Stunde, ständig seine direkte Nähe sucht. Er darf mit einem kleinen Glühlämpchen, wie man es bei den Rettungswesten der Airlines durch die Präsentation vor dem Start vermutet, nur um den Pool herumwandern, spielt also eine viel zu kleine Rolle, ähnlich wie Brangäne. Der Regisseur geht sogar so weit zu spekulieren, dass man alles Personal um das Liebespaar herum aussparen könne, und es würde trotzdem nicht überleben – eine Hypothese oder Spekulation, die er spannend findet. Sie stellt sich jedoch gegenteilig auf der Bühne dar. Interessant ist aber, dass ausgerechnet Melot in die Ellipse von Tristan und Isolde eintritt, in dem Augenblick nämlich, als er Tristan für König Marke in flagranti der Untreue überführt. Er zwingt ihn auf einen Stuhl in der Ellipse und damit in die Position eines Verhörs, welches mit dem einfallsreichen Herabsenken lichtstarker Leuchtröhren einen immer intensiveren Verlauf nimmt und Tristan schließlich ohne direkte Einwirkung Melots die Wunde zufügt – eine Wunde des „hellen Tags“. Denn im Finale des 2. Aufzugs haben ihn die Leuchtröhren fast wie ein Gitter eingeschlossen. Interessant ist aber auch, dass Melot mit dem Kabel des Scheinwerfers, den Isolde zuvor nicht ganz löschen konnte und mit dem er Tristan nun ins helle Licht gerückt hat, eine Schlinge knotet – er sieht wohl sein Ende schon jetzt besiegelt… Judas ist nahe!

Nicht ganz wird klar, was Schwab damit meint, dass der Mensch nicht an der Gesellschaft, sondern an sich selbst zugrunde gehe. Wie Wagner selbst sagte, gebiert das Sehnen ständig neues Sehnen und findet nie Erfüllung. Das wird im 3. Aufzug aber nicht klar. Besonders hier versagt die Personenregie, die zunächst Tristan wie bei einer Totenaufbahrung von Kerzen umgeben in der Ellipse zeigt, Isolde aber später nicht zu ihm kommen lässt. Stattdessen steht sie, bisweilen völlig von den Rankpflanzen verdeckt, unscheinbar im Hintergrund und singt ihren Liebestod nicht ganz nachvollziehbar, ja stirbt weit entfernt von Tristan, der nun aus der erloschenen toten Ellipse herausgetreten ist (und in der Realität angekommen?). Das war am Ende dann doch ein Maß an Entfremdung, welches zu dieser, der Werkkaussage Wagners glücklicherweise sehr verpflichteten Interpretation, nicht passte. Sollten nicht die Darsteller mit ihren Gefühlen absolut im Fokus stehen?! Man würde nach Ansicht des Regisseurs die „Vehemenz von Gefühlen“ erleben, ist zu lesen. So blieb der „perpetuierende Gedanke der Liebe“ am Ende im Unklaren. Hier könnte man im Sinne der „Werkstatt Bayreuth“ mit etwas Zeit gut nacharbeiten und in dieser ansprechenden Ästhetik des „Welt-Atems wehendem All“ noch einiges bewirken.

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Catherine Foster, Stephen Gould, Foto: Enrico Sschaffrath / Bayreuther Festspiele

Natürlich glänzen Stephen Gould und Catherine Foster mit ihren Rolleninterpretationen von Tristan und Isolde. Gould, noch vor zwei Wochen in Leipzig als Jung-Siegfried zu erleben, bringt seinen klangvollen und stimmstarken Heldentenor bei nicht immer ganz guter Wortdeutlichkeit in die Rolle ein. Darstellerisch ist er ohnehin schon ein Tristan mit hohem Depressions-Potential. Catherine Foster war zuletzt mit der Brünnhilde in Budapest und Isolde in Leipzig, wo sie überall zur großen Begeisterung auch der Wagner-Kenner gesungen hatte, an diesem Abend in einer nicht ganz so ausgezeichneten Verfassung. Nach gutem Beginn im 1. Aufzug bei starkem Dialog mit der auszeichneten und äußerst wortdeutlich singenden Ekaterina Gubanova als Brangäne, ließ Foster im Verlauf des Abends und besonders im Liebestod, an Wortdeutlichkeit nach und sang auch bisweilen etwas zu tief. Vielleicht liegt es an ihrer momentan sehr hohen Beanspruchung, denn Hochdramatische für die ganz großen Bühnen wie Bayreuth sind nicht einmal an einer Hand zu zählen. Der Weltklasse-Bass Georg Zeppenfeld brilliert einmal mehr stimmlich als König Marke, denn darstellerisch sind ihm relativ enge Grenzen gesetzt. Markus Eiche singt einen klangvollen Kurwenal mit seinem samtenen Bariton. Olafur Sigurdarson, exzellenter Alberich noch im Dezember 2021 des neuen Göteborger „Ring“, ist eine Luxusbesetzung für den Melot, und Jorge Rodrìgues Norton als Hirt, Raimund Nolte als Steuermann und Siyabonga Maqungo als junger Seemann runden das gute Ensemble ab.

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Catherine Foster, Stephen Gould, Foto: Enrico Sschaffrath / Bayreuther Festspiele

Am Pult des Bayreuther Festspielorchesters stand diesmal als Einspringer der Linzer GMD Markus Poschner, wohl auch, weil er mit Katharina Wagner im Januar 2019 mit einer semi-konzertanten „Walküre“ mit diesem Orchester in Abu Dhabi gastierte, auch damals als Einspringer. Für ein Debut an dem mit elementaren Besonderheiten versehenen Schlag im mystischen Bayreuther Graben machte Poschner seine Sache recht gut, versuchte viele Details herauszuarbeiten und konnte auch dynamischere Momente ansprechend gestalten. Allein, es blieb allzu vieles zu leise und unerfindlich, riss nicht recht mit. Die ganz große Emotion, von der Regie postuliert, fehlte im Graben. Auch hier kann in den Folgejahren, sollte Poschner weiter am Pult stehen oder der heuer auf den neuen „Ring des Nibelungen“ umgebuchte Cornelius Meister das Dirigat übernehmen, gewinnbringend nachgearbeitet werden.

Alles in allem eine gute „Tristan“-Premiere auf dem Grünen Hügel von Bayreuth, die Potential für gesteigerte Intensität bietet. Allein das Premieren-Publikum war schon jetzt völlig zufrieden. Man klatschte gleich schon die Schlusstakte hinein, besonders schlimm bei diesem Werk Richard Wagners, und begann sofort mit dem irren Trampeln auf den Holzboden im Sinne des von mir hier schon einmal detailliert geschilderten Pawlowschen Applauses…

© Klaus Billand

Liebe Grüße

Willi?

Einstweilen hole ich die Rezensionen von Wagneropern nach, die Klaus Billand schon andernorts vor Beginn der Festspiele in Bayreuth gefertigt hat, denn auch in Heidenheim gab es beispielsweise Festspiele:

HEIDENHEIM / Opernfestspiele: TANNHÄUSER – am 22. Juli 2022- Kurzkritik. Ungewöhnliche, aber stimmige Interpretation

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Copyright: Klaus Billand

Mit der schon im letzten Jahr geplanten Neuinszenierung von Richard Wagners romantischer Oper „Tannhäuser“, die wegen der Pandemie auf heuer verschoben werden musste, kamen die von Marcus Bosch geleiteten Opernfestsspiele Heidenheim nun mit der Inszenierung des Linzers Georg Schmiedleitner heraus. Und es wurde in der Ruine des Rittersaals des auf einem Hügel über der Stadt an der Brenz thronenden Schlosses Hellenstein in einer heimeligen Sommernacht kein beschaulicher romantischer Opernabend mit ein bisschen mittelterlichem Sängerstreit auf der Wartburg. Die Festspiele, die sich offenbar einem ganz regietheatralisch aktualisierenden Inszenierungsstil verschrieben haben, zeigen Heinrich von Ofterdingen als einen Extremisten des Gefühls, der am nicht vereinbaren Gegensatz der Liebe zu Venus einerseits und Elisabeth andererseits sowie der darauf folgenden Qualentour nach Rom masochistischen Gefallen findet und Freuds Theorie von Eros und Thanatos, den Liebes- und Todestrieb, hier mit unter die Haut gehenden Bildern und Emotionsausbrüchen plastisch vor Augen führt – wie Dramaturg Stephan Knies im Programmheft erläutert.

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Copyright: Klaus Billand

Dazu hat Stefan Brandtmayr ein poppiges Motel-Bordell auf die Bühne gestellt, in dem es schon während er Ouvertüre heftig „sündig“ zugeht und Cornelia Kraske mit ihren Kostümen und der Maske für schrille Akzentuierung eines ins Licht von Hartmut Litzinger getauchten Ortes der Heimatlosigkeit sorgt, in dem sich Ausreißer, Reisende, die ihr Ziel (noch) nicht erreicht haben, eben wie Tannhäuser, treffen. Realismus pur, aber wohl wahr, und somit im weitesten Sinne des Stücks. Im 2. Akt wird das Ganze zu einem eleganten Ballsaal umfunktioniert, um im dritten einen Ort der Zerstörung aller Hoffnungen darzustellen, mit einer wahrlich schockierenden und an Realismus unter die Haut gehenden Personenregie! Die Romerzählung, teilweise im Publikum gestaltet, wird zu einem absoluten Höhepunkt!

Diese Zerstörung aller Hoffnungen bringen darstellerisch und stimmlich auf zeitweise äußerst beeindruckende Art und Weise James Kee mit einer unglaublichen Seelenwanderung als Tannhäuser, Leah Gordon als Elisabeth, Anne Schuldt als Venus, Birger Radde als besonders schönstimmiger Wolfram und Beniamin Pop als noch ganz junger Landgraf Hermann bei ebenfalls guter Besetzung der weiteren Rollen über die Rampe und erzeugen im Publikum am Ende große Begeisterung. Marcus Bosch dirigiert bewusst unpathetisch die Stuttgarter Philharmoniker in einer Besetzung von um die 65 Musikern. Der sehr gute Festsspielchor wird vom Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn unter Leitung von Petr Fiala in der Einstudierung von Michael Dvorák gestellt.

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Copyright: Klaus Billandt

Ein bisweilen gewisse Grenzen optischer und stilistischer Gewohnheiten streifender Abend, der aber wohl niemandem im Publikum kalt ließ, selbst wenn er oder sie – wie wohl viele hier – den „Tannhäuser“ zum ersten Mal erlebte. Nächstes Jahr kommen in der laufenden Verdi-Serie „Don Carlo“ und „Giovanna d’Arco“. (Detaillierte Rezension in Kürze).

Liebe Grüße

Willi

Klaus Billand

 

 

 

 

 

Ich habe mir die letzte Mail von Klaus Billand noch einmal genau durchgelesen, in der er schrieb, dass er die Rezensionen des Siegfried und der Götterdämmerung erst am Schluss vorlegen würde und das sann mit dem Spielplan der Bayreuther Festspiele verglichen, und dann ging mir auf, dass er meinte, erst nach dem zweiten Durchgang bei den Beyreuther Festspielen. Weiter stellte ich fest, dass er mittlerweile bei den Salzburger Festspielen ist.

Und da habe ich nun seine erste Rezension mit Datum von gestern gefunden, die Premiere von Katja Kabanova einen Tag vorher betreffend:

08. 08. 2022

SALZBURG/Festspiele: KÁTJA KABANOVÁ. Premiere. Kenner und Könner am Werk!

SALZBURG/Festspiele:  KATJA KABANOVA – Premiere am 7. August 2022

Kenner und Könner am Werk!

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Jaroslav Brezina (Tichon), Crinne Winters (Katja), Evelyn Herlitius (Kabanicha).
Foto: Monika Rittershaus/Salzburger Festspiele

Gestern Abend ging mit großem Erfolg die fünfte Opern-Premiere bei den Salzburgern Festspielen 2022 über die Bühne. Die Inszenierung der „Katja Kabanova“ von Leoš Janáček durch Barrie Kosky im rein aus Menschen bestehenden Bühnenbild von Rufus Didwiszus, den Kostümen von Victoria Behr und im genialen Licht von Franck Evin stellte unter schlagenden Beweis, wie stark und emotional gutes Operntheater sein kann, wenn es von Kennern der Materie und aus der Musik heraus konzipiert wird. Kosky und sein Team sind genau solche Kenner und beherrschen das Handwerk der Opernregie aufs Feinste. Und darauf kommt es letzten Endes immer noch an, wie auch in einem Symposium bei den Bayreuther Festspielen mit dem Titel „Tendenzen und Perspektiven der Wagner-Regie“ herausgearbeitet wurde.

Kosky schafft es, ohne eine einzige Requisite die riesige Bühne der Felsenreitschule intensiv zu bespielen mit einem Stück, welches eigentlich eher wie ein mährisches Kammerspiel konzipiert ist. Er und Didwiszus stellen viele Puppen in Kostümen im tristen Grau des Dorfalltags auf die Bühne gegen die Hinterwand, während in den vorderen Reihen echte Statisten mit vermummten Gesichtern agieren. Das wirkt, als würden sie ständig auf die weite Wolga schauen, die ja im Stück eine wichtige Rolle spielt, andererseits aber dem Geschehen wie in Nichtakzeptanz der Handlungen Katjas und Boris‘ den Rücken zuwenden. Nach und nach treten die Protagonisten aus diesem Menschenpulk hervor und beginnen zu spielen. Am Ende treten sie wieder in ihn hinein und verschwinden so aus dem Blick…

Die weite restliche Bühne wird auch durch Katja und Varvara, Ziehtochter der Kabanicha, choreografisch gekonnt einbezogen, während ein riesiger Bühnenvorhang sich in die Aktübergänge schiebt, der teilweise transparent ist und von Dorfgeräuschen wie Glocken oder Grillenzirpen, sowie am Ende von dem ominösen Gewitter begleitet wird. So entsteht das Stück ohne umständliche Verwandlungen, aber mit einer wie immer bei Kosky exzellenten Personenregie wie aus einem Guss. Katja spürt somit „den Druck von etwas Größerem“, wie Kosky im Programmheft formuliert, während gleichzeitig die Problematik ihrer familiären Situation und der Fluchtversuch aus dieser Enge mit Boris in starken Bildern gezeigt wird.

Die US-amerikanische Sopranistin Corinne Winters ist eine Katja der Sonderklasse und erinnert an Asmik Grigorian zu ihrem Karriere-Beginn. Winters spielt unglaublich engagiert und emphatisch und verfügt über einen leuchtenden einnehmenden Sopran, mit dem sie alle Facetten der Rolle ausloten kann. Die slowakische Mezzosopranistin Jarmila Balázová ist als Varvara eine Partnerin auf Augenhöhe, vokal und darstellerisch mit ebenfalls klangvollem Organ. Evelyn Herlitzius gibt eine eiskalte und ultradominante Kabanicha mit bestechenden vokalen Momenten. In einer kurzen Szene mit Dikoj, der prägnant von Jens Larsen verkörpert wird, offenbart sie die ganze Falschheit und Verlogenheit der Figur – und das liegt der Herlitzius gegen Ende ihrer eindrucksvollen Karriere!  Wann kommt die Klytämnestra?!

Jaroslav Brezina gibt den Tichon als jämmerliches, aber auch gewalttätiges Muttersöhnchen der Kabanicha und Ehemann Katjas, dem man seine vermeintliche Liebe zu ihr nicht abnehmen kann. David Butt Philip ist ein Boris mit kernigem Tenor, nicht durchgängig schön timbriert, was aber zur Zerrissenheit der Rolle passt. Benjamin Hulett spielt den Liebhaber Varvaras, Kudrjáš, mit charaktervollen Lauten.

 Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor unter der Leitung von Huw Rhys James singt die Töne der riesigen Wolga mystisch als dem Off, und Jakub Hrúša findet am Polt der Wiener Philharmoniker genau die slawischen Linien, die dieses wunderbare Stück mit großem Erneuerungspotential der Oper als Kunstform im 20. Jahrhundert so auszeichnen. Dabei stellte Hrúša stets eine intensive Beziehung zwischen Orchester und dem lebhaften Geschehen auf der Bühne da.

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Die Solisten mit Dirigent und Regisseur beim Schlussapplaus, Foto: Klaus Billand

Ein Abend in Salzburg, der vor allem nach dem überaus enttäuschenden neuen „Ring des Nibelungen“
Die Solisten beim Schlussapplaus “ durch Valentin Schwarz in Bayreuth dokumentierte, wozu Oper in der Lage ist, wenn Plot und Ideen des Komponisten ernst genommen und kenntnisreich aus der Musik heraus umgesetzt werden. Und ganz nebenbei wurde einmal mehr die Mähr wiederlegt, dass Regisseure immer nur dann glücklich sein können, wenn sie besonders heftig ausgebuht werden. Das Publikum feierte die Sänger ohnehin, aber auch das leading team mit begeistertem Applaus. Kein einziges Buh! Und auch Kosky freute sich, ganz ehrlich…

Weitere Termine 11., 14., 21., 26. und 29. August – Besuch dringend empfohlen!

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Schlussapplaus mit gesamtem Ensemble, Foto: Klaus Billand

© Klaus Billand

Liebe Grüße

Willi

Ich habe die folgende Kritik erst kürzlich entdeckt und stelle sie jetzt hier ein, obowohl die Vorstellung  schon vor über drei Wochen war:

BREGENZ/Festspiele: MADAMA BUTTERFLY – Premiere am 20. Juli 2022  Eine gelungene Premiere trotz Unterbrechung!

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Zuerst banges Warten. Hält das Wetter? Die Festspielleitung spielt auf Risiko und startet.
Foto: Klaus Billand

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Nach einer Stunde erfolgt Abbruch. Gefährliche Gewitter, ab in das Festspielhaus1 Foto: Klaus Billand

 Eine spannende Premiere wurde diese „Madama Butterfly“, da auf Italienisch gesungen, auf der Seebühne in Bregenz. Zuvor zog ein regenreiches Gewitter über die Spielstätte hinweg. Alle harrten gespannt aus, ob es losgehen könnte, die Regenpelerinen schon in der Tasche. Das tat es dann auch, mit einem leichten Zwischenschauer. Als dann aber die Blitze von Südwesten das Firmament erhellend näher rückten und man gewissermaßen noch die trockene Ruhe vor dem Sturm genoss, entschloss sich die Festspielleitung nach einer Stunde, auf dem See abzubrechen. Es sei angesichts der nahenden Gewitterfront nicht zu riskieren weiterzuspielen.

Nun ist „Madama Butterfly“ wahrlich kein Stück für große Dimensionen, die gerade die Bregenzer Seebühne nahelegt und auch auszeichnet. Man denke nur an die großen Produktionen von „Rigoletto“, „Aida“ oder „Tosca“. Das leading team um Regisseur Andreas Homoki, Bühnenbildner Michael Levine und Kostümbildner Antony McDonald mit dem Licht von Franck Evin war sich dessen durchaus bewusst. Man sieht das Stück auch als „intimes Kammerspiel“, ist aber der Meinung, dass Puccinis großartige Musik es auf eine ganz andere Ebene hebt. Und diese – größere – Ebene haben sie mit einem riesigen weißlichen und gewellten Blatt Papier dargestellt, auf dem japanische Schriftzeichen und Naturandeutungen im typisch asiatischen Stil zu sehen sind, wie man ihn auch in chinesischen Darstellungen kennt. Auf diesem Blatt Papier wollen sie die Folgen einer globalisierten Welt darstellen, insbesondere wenn Kulturen wie die US-amerikanische, wo allein das Leistungsprinzip zählt, auf archaische wie die japanische trifft, wo Rang und Familie alles sind und die Tradition besonders stark wiegt. Das ist mit den dem japanischen Kabuki-Theater nachempfundenen Kostümen einerseits und einem sich von unten durch das Papierblatt bohrenden US-Flaggenmast mit dem auch weiterhin viele Szenen beherrschenden Stars and Stripes Banner gut gelungen. Dass hier die japanische Lebenswelt nicht akzeptiert wird, der Einbruch der US-Amerikaner in Person Pinkertons wie ein gewaltsamer Eingriff wirkt und letztlich auch zum Scheitern des Traumes von Cio-Cio-San führen muss, durch Heirat mit dem US-Amerikaner der paternalistischen Traditionsgesellschaft, in der sie nur als Geisha überleben konnte zu entkommen, nachdem ihr Vater sich per Harakiri das Leben nehmen musste, wird offenbar. Und dazu ist das für dieses Stück so ungewöhnliche Bühnenbild geeignet.

Was aber in ihm verloren geht, ist die feine Wahrnehmung der emotionalen Intensität im Umgang der Personen miteinander. Sie verloren sich allzu oft in diesem weiten und reaktiv konturlosen Bühnenbild, mussten zu lange Wege zurücklegen. Passende Mimik, ausgefeilte Personenregie und eine große Persönlichkeit der Akteure in der Authentizität ihrer Rolleninterpretation spielen gerade bei „Madama Butterfly“ eine ganz entscheidende Rolle. Es ist ein Glücksfall, dass sich das leading team für den Fall der Aufführung im Festspielhaus für eine semi-szenische Darstellung entschied, also mit Kostümen und voller schauspielerischer Aktion vor dem Orchester. Hier nun wurden auch diese starken Seiten des Meisterwerkes von Puccini schlagend offenbar! Und daran hatte die junge Usbekin Barno Ismatullaewa den entscheidenden Anteil. Sie war der Star des Abends und nahm das Publikum schon mit ihrer Aktion auf der Seebühne voll für sich ein, erst recht aber mit ihrem eindringlichen und auf jeder Note passenden Ausdruck Wert legenden Spiel. Sie wirkte tatsächlich wie eine japanische Geisha mit Tiefgang. Und eine liebevoll sich um ihr Kind sorgende Mutter. Und dann dieser wunderschöne, ja kostbare Sopran! Dunkel schattiert in der Mittellage, stets noch voll klingend im tiefen Register und mühelos jede Höhe sogar noch nuancierend erreichend. Und sie beherrscht allein mimisch die Bühne, auch wenn sie gar nicht singt. Das ist schlicht Weltklasse! Man hatte den Eindruck, dass Barno auch die anderen zu besonderer Leistung mitriss. Hier im Haus war das alles viel besser zu erleben als auf der relativ weit entfernten Seebühne.

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Copyright Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Brian Mulligan war ein ebenfalls sehr emotional agierender Sharpless mit kraftvollem und ausdrucksstarkem Bariton. Annalisa Stroppa gab eine hingebungsvolle, angesichts der Lage Cio-Cio-Sans schon depressiv wirkende Suzuki mit charaktervollem Mezzo. Auch Taylan Reinhardt als Goro konnte mit schöner Stimme und gutem Rollenspiel überzeugen. Gar nicht überzeugen konnte hingegen Edgaras Montvidas als Pinkerton mit einem unschönen Timbre, wenig Resonanz und tenoraler Klangfarbe und dazu noch mit zu viel Anspannung beim Singen. Man hatte oft den Eindruck, es ginge ihm in erster Linie um die Produktion der geforderten Töne und insbesondere Höhen. Ein gewisser Wermutstropfen in dieser ansonsten sehr guten Premiere, in der auch Omer Kobiljak als Yamadori Eindruck machte, Stanislav Vorobyov als Bonzo und Unnsteinn Árnason als kaiserlicher Kommissar aber unscheinbar blieben. Der kleine Riku Seewald spielte ganz lieb Dolore, das Kind.

Enrique Mazzola legte mit den Wiener Symphonikern große musikalische Qualitäten an den Tag und kam insbesondere im Haus zu einer perfekten Harmonie mit den Sängern. Er gestaltete den musikalischen Teil mit viel Liebe zum Detail und exaktem Schlag und legte auch Wert auf die Hervorhebung der diversen Instrumenten-Soli. Der Prager Philharmonische Chor und der Bregenzer Festspielchor trugen ebenfalls zum musikalischen Erfolg bei.

Eine Szene auf dem See, der sicher noch andere gute gefolgt wären, bleibt im Gedächtnis. Der anmutige Gang der Frauen um Cio-Cio-San bei ihrem ersten – auch musikalisch – so reizvollen Auftritt von der Blattkante ganz oben rechts bis unten auf die Hauptbühne, natürlich mit den typischen roten Schirmchen. Dass war großes Theater, ja Musiktheater! Nach Barnos Harakiri verbrennt das Blatt – ein trauriges Ende der Geschichte, das so auch im Festspielhaus zu sehen war.

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Schlussapplaus, Foto: Klaus Billand

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Schlussapplaus mit Barno Ismatullaewa, dem Dirigenten Enrique Mazzola und den Sinfonikern

Foto: Klaus Billand

Hoffen wir, dass Petrus den Bregenzern in den kommenden Tagen gnädiger gestimmt ist. Sie hätten es sich verdient! Obwohl die Landwirtschaft so auch ihre Freude hat…

 ©   Klaus Billand

Liebe Grüße

Willi?

 

 

Es ist ein großer Gewinn für unser Forum, dass wir die umfangreichen Rezensionen des anerkannt kompetenten  Kritikers Dr. Klaus  Billand in unserem  Forum veröffentlichen dürfen. Neben dieser fachlichen Anerkennung möchten wir – unserem Klaus – auch herzlich danken.  

Die Sängerfreunde finden es wunderschön, dass sie unser Klaus  schreiben können, weil der  erfahrene Opernexperte Mitglied in unserem „Troubadour Forum ist. Solche Verbindungen  mit einem Win-Win-Effekt für alle Beteiligten sollten verstärkt aufgebaut werden.

 

 

 

Und wieder hat sich Klaus Billand aus Salzburg gemeldet, und diesmal mit einem Konzert der ganz besonderen Art:

 

SALZBURG/Festspiele: Camille Saint-Saëns („Samson und Dalila“) und Richard Wagner („Parsifal“) mit den Wiener Philharmonikern

 Daniel Barenboim holte große Oper ins Große Festspielhaus!

21.08.2022 | Konzert/Liederabende, Oper in Österreich

SALZBURG/Festspiele: Camille Saint-Saëns („Samson und Dalila“) und Richard Wagner („Parsifal“) mit den Wiener Philharmonikern am 20. August 2022

 Daniel Barenboim holte große Oper ins Große Festspielhaus!

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Elinan Garanaca, Brandon Jovanovic, Copyright: Salzburger Festspiele /Marco Borrelli

Ein Konzert der ganz besonderen Art – auch für die Salzburger Festspiele! Wann gibt es das schon mal, dass die Wiener Philharmoniker gleich zwei komplette Akte ganz besonderer Opern des Repertoires konzertant und dazu noch unter Daniel Barenboim mit Weltklasse-Solisten spielen? So geschehen gestern Abend im Großen Festspielhaus, das wieder einmal vollbesetzt war – kein Wunder! Gab es doch zunächst den 2. Akt der Oper „Samson und Dalila“ von Camille Saint-Saëns von 1877 und nach der Pause den 2. Aufzug des Bühnenweihfestspiels „Parsifal“, dem Abschiedswerk von Richard Wagner aus dem Jahre 1882.

Und was für Solisten standen Barenboim zur Verfügung! Elina Garanca sag zunächst die Dalila, eine Rolle, die sie schon lange kennt und die ihr auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Erst mit ihrer bösartigen Ränkeschmiede, dann mit Brandon Jovanovich als Samson gestaltet sie die sich langsam aufbauende erotische Spannung mit Samson bis hin zu dessen völliger Ablehnung unglaublich intensiv, auch im mimischen Ausdruck. Dabei war das doch nur eine konzertante Aufführung, nicht einmal eine semikonzertante. Jovanovich überzeugt mit bisweilen schönen lyrischen Tönen, ansonsten einem prägnanten Tenor. Michael Volle ist natürlich eine Luxusbesetzung des Oberpriesters des Dagon. Daniel Barenboim weiß mit relativ wenigen Bewegungen die Wiener Philharmoniker zu motivieren und das Stück in spannungsvollem Fluss zu halten.

Zu Beginn des 2. Aufzugs des „Parsifal“ kann zunächst Michael Volle seine exzellenten vokalen Qualitäten als Klingsor unter Beweis stellen, mit dem er an diesem Abend debutierte. Einen solchen Nuancenreichstem bei perfekter Diktion seines derzeit im Wagnerfach wohl weltbesten Heldenbaritons kann man kaum, wahrscheinlich nicht besser hören. Er machte diese relativ kleine Rolle zu einer Hauptrolle! Als Kundry, mit der Elina Garanca ja in Wien in der letzten Saison debutierte, lässt die lettische Ausnahmesängerin ihren vollen Mezzo in den Höhen noch weit mehr erstrahlen als bei der auch tiefer gelegenen Dalila. Bei kraftvoller Mittellage und guter Tiefe machen ihr die deklamatorischen Spitzentöne wie das „und lachte!“ sowie die gefürchteten „Irre“-Rufe am Akt-Ende nicht die geringsten Schwierigkeiten – Garanca singt sie alle. Brandon Jovanovich kann nicht alle lyrischen und kontemplativen Momente des Parsifal ausloten, hat auch ein kleines Intonationsproblem, kann aber gleichwohl mit seinem kräftigen Tenor überzeugen. Der Damenchor

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Copyrigth: Salzburger Festspiele /Marco Borelli

Daniel Barenboim war hier natürlich in seinem „Wagner-Element“ und hielt die Fäden aufs Beste zusammen, auch wenn er vom Parkett aus gesehen hinter den Sängern saß und nur angedeutete Einsätze geben konnte. Aber man merkte sofort, dass hier alle genauso wussten, was wann und an welcher Stelle zu tun war…

Es war erfreulich zu sehen, dass die jungen Damen des Young Singers Project, das am 27. August sein Abschlusskonzert in Salzburg haben wird, die Chance bekamen, die sechs Blumenmädchen zu singen. Und sie machten es recht gut. Sehr gut sang auch der Damenchor der Konzertverienigung Wiener Staatsopernchor unter der Leitung von Jörn Hinnerk Andresen.

Ein großer Konzertabend im Großen Festspielhaus, der – mit Applaus – erst um Mitternacht endete. Eine Wiederholung gibt es am 22. August um 19:30 Uhr.

©   Klaus Billand aus Salzburg

Liebe Grüße

Willi?

 

SALZBURG/ Großes Festspielhaus/ Festspiele:

LUCIA DI LAMMERMOOR konzertant

26.08.2022 | Oper in Österreich

 SALZBURG/Festspiele: LUCIA DI LAMMERMOOR konzertant – 25.8.2022

 Ein wahres Fest des Belcanto

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Lisette Oroposa, Daniele Rustioni, Foto: Salzburger Festepiele/Marco Borelli

Man kann es kaum glauben! Aber Gaetano Donizettis Belcanto-Meisterwerk „Lucia di Lammermoor” wurde noch nie bei den Salzburger Festspielen gegeben. Erinnerungen wurden natürlich sofort wach an die erst vor kurzem so tragisch verstorbene Edita Gruberova, wenn man die Wahnsinnsarie „Il dolce suono“ von Lisette Oropesa in höchster Belcanto-Meisterschaft hört. Und das nahezu bis auf den letzten Platz besetzte Große Festspielhaus wartete auf diesen Höhepunkt des Dramma tragico in drei Akten, welches 1835 seine Uraufführung erlebte. Und es wurde der erwartete Höhepunkt, aber nicht nur, weil die Oropesa nahezu vokalakrobatisch mit blendenden Höhen alle Nuancen und Feinheiten der Wahnsinnsarie interpretierte, sodass man glauben konnte, sie hätte Arturo tatsächlich gerade umgebracht. Es war auch das anmutige Spiel von Christa Schönfeldinger an der Glasharmonika, die einmal die traditionelle Flöte bei der Arie ersetzte und wunderschöne graziöse Töne dazu aus ihren Glaswindungen entstehen ließ, die fast transzendent im weiten Raum schwebten. Das war in der Tat einmal etwas ganz Besonderes!

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Benjamin Bernheim, Ludovic Tezier. Foto: Salzburger Festspiele/ Marco Borrelli

Benjamin Bernheim legte nach seinem Liederabend im vergangenen Jahr mit dem Edgardo di Ravenswood ein weiteres Zeugnis seines klangvollen und geschmeidigen Tenors ab, der durchaus schon Tendenzen zum jugendlich dramatischen Fach aufweist. Auch lebte er die Rolle, obwohl es eine konzertante Aufführung war, bestechend emotional. Bernheim wird sicher eine sehr gute Karriere machen. Die Wagner-Gemeinde sollte sich in einigen Jahren, wenn überhaupt noch so lange, auf seinen Lohengrin freuen können. Natürlich war Ludovic Tézier ein Respekt gebietender, überaus souveräner und unnachgiebiger Lord Enrico Ashton und konnte das mit seinem kantablen Bariton auch vokal eindrucksvoll verkörpern. Tézier ist ein Sänger mit einer großen Bandbreite, wenn man beispielsweise bedenkt, dass er zu Ostern in Salzburg noch den Scarpia gab und in dem szenisch bedürftigen „Parsifal“ 2021 an der Wiener Staatsoper den Amfortas sang. Immer war alles sehr gut! Ein Höhepunkt des Abends wurde folgerichtig fas Duett, das man auch als Duell bezeichnen könnte, zwischen Tézier und Bernheim im 3. Akt.

Riccardo Della Sciucca sang die etwas undankbare Rolle des Lord Arturo Bucklaw. Roberto Tagliavini, zu Recht mehrfach bei den diesjährigen Salzburger Festspielen eingesetzt, gab einen sonoren Raimundo Bidebent. Zwei junge Nachwuchs-Sänger aus dem Salzburger Young Singers Project YSP sangen die Nebenrollen, und zwar Ann-Kathrin Niemczyk die Alisa und Seungwoo Simon Yang den Normanno, beide recht gut.    

Daniele Rustioni stand am Pult des Mozarteumorchesters Salzburg und konnte mit den ebenso motivierten wie engagierten Musikern Donizettis Musik in ihrer ganzen vielseitigen Spannweite musizieren und dabei auch die Sänger bestens führen. Walter Zeh hatte den Philharmonia Chor Wien bestens einstudiert, ein langjähriger Meister seines Faches. Riesenapplaus für Sänger und Orchester, natürlich mit besonderer Intensität für Lisette Oropesa, deren Leistung sicher zu den Höhepunkten der diesjährigen Festspiele gehört und noch lange in Erinnerung bleiben wird.                             

©  Klaus Billand

Liebe Grüße

Willi?

 

Da ich den Merker 8/9 erst während meines Krankenhausaufenthaltes erhalten habe, habe ich erst jetzt die Kritik der Bohème vom 27. 7. 2022 bei den Münchner Opernfestspielen erhalten,die unser Mitglied Klaus Billand verfasst hat und die vielen unserer Mitglieder sicherlich ein Lächeln ins Gesicht zaubern dürfte:

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper/ Opernfestspiele: LA BOHÈME. Wie aus einer anderen Zeit…

29.07.2022 | Oper international

MÜNCHEN/Opernfestspiele: LA BOHÈME am 27. Juli 2022

Wie aus einer anderen Zeit…

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Copyright: Bayerische Staatsoper/ Wilfried Hösl

 

Mehr oder weniger unvermittelt und wie ein Solitär einer während einer relativ lang vergangenen Zeit mit großem Zuspruch aufgenommenen Opern-Ästhetik setzten die Münchner Opernfestspiele 2022 Ende Juli die fast 50 Jahre alte Inszenierung von Otto Schenk der Verismo-Oper „La Bohème“ von Giacomo Puccini auf das Programm. Warum auch nicht, wenn die Bayerische Staatsoper ein so trefflich zusammengestelltes und den ganzen Abend über authentisch agierendes Bohemien-Ensemble aufweisen kann, welches mithin beim Münchner Festspielpublikum große Begeisterung auslöste.

Schon gleich zu Beginn stimmte Francesco Lanzillotta am Pult des Bayerischen Staatsorchesters feurig in die glutvolle Partitur der Oper von Puccini ein, die in der alten Mansarde von Rudolf Heinrich über den Dächern von Paris mit einer äußerst schwungvollen Runde der vier bedürftigen Künstler und Lebenskünstler Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline begann. Köstlich auch, wie sie mit gemeinsamer Kraft den lästigen Benoît hinauskomplementierten! Hier war keine Personenregie nötig. In einem solch traditionellen Bühnenbild bleibt einem Sänger kaum etwas anderes übrig, als sich in seiner Rolle selbst zu spielen. Das geht naturgemäß besonders gut, wie man ja auch vom Tanzmeister über Zerbinetta in der „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss hören kann.

Diese Authentizität ging eine wunderbare Harmonie mit dem Orchester ein sowie mit dem großartigen Bayerischen Staatsopernchor unter der Leitung von Stellario Fagone mit seinem Team. Der Chor und der Kinderchor der Bayerischen Staatsoper beherrschten große Strecken des detailreichen und phantasievollen Bühnenbildes des 2. Akts, etwa vergleichbar mit den alten Inszenierungen in Wien und an der Staatsoper Budapest, deren „Bohème“ sogar noch viel älter ist und ebenfalls zu einer Kult-Produktion wurde und wohl weiterhin bleibt.

 Charles Castronovo, US-amerikanischer Tenor von internationalem Format, singt und spielt einen ebenso emotionalen wie einnehmenden Rodolfo mit einem für das italienische Fach bestens geeigneten Timbre und auch einiger Italianità. Ailyn Pérez ist ebenfalls eine Idealbesetzung für die Mimì, optisch und darstellerisch dem gesundheitlich leidenden Mädchen von nebenan sehr nahe kommend und stimmlich mit viel Wohlklang und Nuancenreichtum in der Interpretation der Rolle ausgestattet. Natürlich erregte die Russin Aida Garifullina besondere Aufmerksamkeit beim Publikum, denn sie ist ja als exzellente Musetta weithin zu Recht bekannt. Auch an diesem Abend zeigt sie wieder alle Register ihres koketten darstellerischen Könnens, aber auch mitfühlende Emotion mit dem Schicksal der Freundin. Und stimmlich war die Garifullina in dieser Rolle wieder eine Wucht! Mühelos, ja fast spielerisch kommen alle Höhe und Tiefen, und dabei noch ein Mienenspiel, als sei es die grüßte Selbstverständlichkeit der (Opern-)Welt.

Mattia Olivieri ist ein engagierter Marcello für die ständigen emotionalen Ausbrüche mit Musetta. Andrei Kymach singt einen guten Schaunard. Adam Palka ist schließlich ein ebenso guter Colline, bei dem er mit der berühmten Mantelarie glänzen kann. Die kleinen Nebenrollen sind ebenfalls gut besetzt. Ein vielleicht auch etwas nostalgischer Abend mit einem tatsächlich realen Verismo und einer homogenen und damit besonders stark wirkenden Truppe der geschundenen Bohemiens auf den Dächern von Paris…

© Klaus Billand

Liebe Grüße

Willi

Meinen herzlichen Dank an Klaus Billand für diese Rezension der „Bohéme“. Und natürlich auch Dank an Willi, daß Du diesen Bericht eingestellt hast.

“La Bohéme“ ist ja meine favorisierte Lieblingsoper und da habe ich diese Rezension natürlich mit besonderem Interesse gelesen. Und wenn man da von einem hochklassigen Ensemble und einer werkgetreuen Inszenierung /Aufführung liest, da kommt Freude auf und glückliche Erinnerungen an die Bohéme Aufführungen, die ich seinerzeit viele, viele Male in der Berliner Staatsoper als begeisterter Zuschauer erleben durfte. Und ebenfalls auch die großartigen Aufführungen in Liberec /Reichenberg seit 2018.

PavOro

BERLIN/ Staatsoper: DER RING DES NIBELUNGEN – Viele Ungereimtheiten und offene Fragen, zu viele…

25.10.2022 | Oper international

BERLIN/Staatsoper: Der Ring des Nibelungen vom 2.-9. Oktober 2022

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Das Rheingold“. Foto: Monika Rittershaus

Viele Ungereimtheiten und offene Fragen, zu viele…

Der insbesondere nach dem mäßigen Erfolg der Tetralogie an der Deutschen Oper Berlin – DOB in der Regie von Stefan Herheim schon so lange und viel diskutierte neue „Ring des Nibelungen“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden unter dem Dirigat von Christian Thielemann erlebte Anfang Oktober in der Regie von Dmitri Tcherniakov seine Premiere. Generalmusikdirektor Daniel Barenboim hatte Thielemann aufgrund seiner derzeitigen gesundheitlichen Situation die musikalische Leitung von zwei der drei Zyklen angeboten – eine großartige Geste. Für Christian Thielemann wurde dieser Ring mit der Staatskapelle einen triumphaler Erfolg. Dazu später mehr.

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„Das Rheingold“ (Alberich). Foro: Monika Rittershaus

Das Programmbuch

Wenn man als Rezensent, und es sollen etwa 65 zu diesem nach der Bayreuther „Ring“-Neuinszenierung wohl zweitwichtigsten Wagner-Event des Jahres akkreditiert gewesen sein, das immerhin 260 Seiten umfassende Programmheft, besser Programmbuch, aufschlägt, sieht man als erstes Kapitel „Die Handlung“ von Dmitri Tcherniakov. Angesichts eines bei einem solchen Umfang überraschenderweise fehlenden Dramaturgen-Gesprächs mit dem Regisseur – selbst viel kleinere Häuser bringen ein solches regelmäßig in viel dünneren Programmheften – denkt man sofort, dass Tcherniakov in seinem immerhin 14-seitigen Kapitel zur Handlung des „Ring“ etwas über die Vision seiner mehr als ungewöhnlichen, ja zeitweise abenteuerlich von Wagners Oeuvre abweichenden Regie schreiben würde. Dabei gibt es mit Tatiana Werestchagina und Christoph Lang gleich zwei Dramaturgen. Weit gefehlt! Ja, es wirkt in diesem Kontext fast schon provokativ, wenn Tcherniakov die Handlung darstellt, wie man sie in jedem etwas ausführlicheren Opernführer lesen kann und wie sie den weitaus meisten Besuchern, die es in diese seit langem total ausverkaufte Premiere geschafft haben, bis ins letzte Detail geläufig ist. Er wollte wohl sagen: Seht Euch meine „Ring“-Interpretation an, und es wird keine Fragen geben, wie in „Arabella“ von Richard Strauss – denn klarer geht es doch gar nicht! Mit dem Programmbuch, von dessen durchaus lesenswerten zehn Aufsätzen nur einer in einer gewissen Beziehung zur Regie Tcherniakovs steht, jener von Michael Gamper über „Künstlerische Experimente im 19. Jahrhundert“ wurde – ebenfalls recht ungewöhnlich – ein äußerst umfangreicher unkommentierter Hochglanz-Bildband mit Szenenfotos wie eine Art optischer Wegweiser durch die vier Abende gereicht. Denn wir haben es bei Tcherniakov in der Tat mit einer Versuchssituation zu tun, die sich in der Forschungsanstalt E.S.C.H.E. – nomen est omen – abspielt, deren Aufriss mit über 100 Räumen führerbunkerartig vor dem „Rheingold“ auf dem Bühnenparavant zu sehen ist und im Übrigen in ähnlicher Geometrie auch das Programmbuch deckelt.

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Kaninchenställe und unten Nibelheim. Foto: Monika Rittershaus

Die Forschungsanstalt E.S.C.H.E. – das Regiekonzept

Tcherniakov bricht also die universale „Ring“-Geschichte mit ihrem von Wagner für so bedeutsam gehaltenen Mythos auf die Mikro-Ebene einer Forschungsanstalt herunter, wo dieser Universalanspruch zugunsten sich gelegentlich ins Unglaubliche steigernder Profanität und Banalitäten nicht nur verloren geht, sondern auch eine vollständige Zerstörung mythischer Elemente bewirkt. Beides führt immer wieder zu ernsthaften Konflikten des in Berlin zu sehenden Geschehens mit Wagners grandioser Musik. Dabei steht im Programmbuch sogar ein Aufsatz von Günter Zöller zu „Alles was ist, endet“ – Richard Wagners ‚Ring des Nibelungen‘ als Weltgeschichtsphilosophie“ in eklatantem Gegensatz zur Regie Dmitri Tcherniakovs. Häufig führte dieses Maß an Widerspruch des Szenischen von der Musik, die im gesamtkunstwerklichen Verständnis Wagners in engstem Zusammenhang mit der von ihm konzipierten Handlung und entsprechenden (heute allerdings kaum noch ernst genommenen) Regieanweisungen stehen sollte, zu musiktheatralisch unglaubwürdigen Momenten, ja bisweilen gar zu völligem dramaturgischem Widerspruch.

Dabei konnte dieses sehr eng ausgelegte „Ring“-Konzept auch nicht stringent durchgehalten werden, ähnlich wie die sogenannte „Netflix-Familiensaga“ von Valentin Schwarz in Bayreuth. Immer wieder ist unklar, wer Objekt der Verhaltensforschung ist und wer der Forscher. Manchmal sind es auch dieselben Figuren in unterschiedlichen Szenen, was zu einer weiteren Verwässerung des Ansatzes führt, die mit fast klassischem Wagner-Theater im 2. Aufzug der „Götterdämmerung“ ihren Höhepunkt erreicht. Wenn man von den albernen Handies der Mannen und – offenbar im Bestreben um politische Korrektheit von Wagner aber zu Beginn der Chorszene überhaupt nicht vorgesehenen „Männinnen“ absieht. Denn diese kommen erst eine ganze Szene später mit Gutrune und Gunther. Hagen ruft nämlich mit seinem berühmtem Mannen-Ruf nur sein männliches Heer zusammen. Die oft fehlende Stringenz des Konzepts mit zu vielen Ansätzen, die nicht überzeugend oder gar nicht weiterverfolgt werden bei gleichzeitig sich allzu sehr ähnelnden szenischen Lösungen in einem im Laufe der vier Abende immer monotoner, da auch simpler werdenden Bühnenbild von Tcherniakov selbst, machte immer wieder purer Langweile Platz. Dazu eine nahezu komplett abwesende Lichtregie von Gleb Filshtinsky, der immerhin den „russischen Ring“ von V. Gergiev 2003 phantastisch ausleuchtete, hier aber fast ständig auf Vollbeleuchtung setzt.

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Siegfried zertrümmert seine Kindheit. Foto: Monika Rittershaus

Die Kostüme

Hinzu kommen die meist unsäglichen profanen Kostüme von Elena Zaytseva, die Hässlichkeit, Banalität und Spießertum verherrlichen, entweder die Alten in spießerhafter oder schmuddeliger Dekadenz zeigen, oder beides, oder die Jungen in banalen Outfits – wie Siegfried in einen hellblauen Jogging-Anzug mit der neudeutschen Einheits-Schuh-Variante „Turnschuh“ steckt. Alberich muss in der „Götterdämmerung“ gar nahezu kostümlos agieren. Zaytseva gönnt ihm grade noch eine lumpige Unterhose, und einen Strickpulli in Grau fertig er sich im Hörsaal sogar selbst an… Die Mannen der „Götterdämmerung“ mit Siegfried im Schlussaufzug verwandelt Zaytseva kurzerhand in eine Basketballmannschaft, deren grüne T-Shirts und graue Shorts an eine Spielerversammlung des FC Wolfsburg erinnern. Wenn Hagen dann Siegfried mit dem Stock der Clubfahne das Rückgrat bricht, schaltet auch das letzte Verständnis für die vermeintlichen Vorzüge des Wagnerschen Regietheaters ab. Banaler und flacher geht es kaum noch. Dabei kann es doch so gutes Regietheater geben!!

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Siegfried kämpft mit Fafner. Foto: Monika Rittershaus

Das Bühnenbild

Im „Rheingold“ wirkt alles noch vordergründig interessant. Denn es wird mit technischer Eloquenz das Bühnenbild der gesamten Produktion unter Aufbringung der gesamten vor kurzer Zeit komplett renovierten Bühnentechnik eindrucksvoll vor Augen geführt. Von links nach rechts und oben nach unten sehen wir etwa sechs verschiedene Räumlichkeiten, durch ihre Hinterwände fast immer akustisch ideal für die Sänger. Im 1. Bild des „Rheingold“ sehen wir ein volltechnisiertes Behandlung-Zimmer, in dem Alberich auf einem Untersuchungssessel wie auf einem elektrischen Stuhl vollverkabelt den ersten Test über sich ergehen lässt. Die Kopf-Verkabelung mutiert später zum Tarnhelm. In dieser Zelle hinter Glas wird Wotan Brünnhilde später auf einer Praxis-Pritsche zum Schlafe betten, Siegfried sie erwecken und sich zu Beginn des 3. Aufzugs der „Götterdämmerung“, nun als „Stress-Labor“ gekennzeichnet, den „Rheintöchtern“ einem Stress-Test unterziehen.

In der zweiten Szene strebt das Bühnenbild weiter über einen kleinen Zwischen-Raum mit Medikamenten-Schränken und gelangweiltem Untersuchungspersonal in eine Art Vorlesungs- oder Hörsaal mit den mittlerweile auf der Wagnerschen Regietheater-Bühne obligaten Wartezimmerstühlen aus einer Stahlrohr-Holz- oder Plastikkonstruktion. Die „Meistersinger“-Stühle aus der DOB kommen in den Sinn – und bei weitem nicht nur diese! Diese Stühle scheinen mittlerweile das zu werden, was früher die Koffer waren. Nur Stefan Herheim setzt an der DOB noch auf Koffer. Daneben liegt ein kleiner bordeaux-marmorierter Sitzungs-Saal mit goldenen Gelehrten- und Künstler-Portraits an der Wand. Es folgt das Exekutiv-Büro Wotans als Leiter der Forschungsanstalt mit einem Schreibtisch voller ungeordneter Akten -„Ordnern“. Es herrscht wohl schon jetzt einiges Chaos hier… Einige Räume haben auch noch eine Galerie.

Für Nibelheim geht es zum 3. Bild in die Tiefe. Über ein Zwischendeck mit etlichen edelstahlbewandeten Kaninchen- und Meerschweinchen-Batterien in gleißendem Licht – es wird ständig alles VOLL ausgeleuchtet, eine Lichtregie fehlt eben völlig, oder sie ist einfach keine! – gelangen wir noch eine Etage tiefer per Aufzug in Alberichs Welt. Sie ist ein aus engen Arbeitszellen bestehendes technisches Büro mit computergesteuerter Kleinarbeit einiger weniger Nibelungen. Wenn es zum vierten Bild wieder nach oben geht, natürlich vorbei an den völlig phlegmatischen Kaninchen und Meerschweinchen, kommt noch das 4. Bild mit einer großen „Weltesche“ sic E.S.C.H.E.-Forschungsanstalt, allerdings mit ganz anderen Blattständen, eher denen einer Linde ähnlich – in der Mitte und einer Art Wartebank drum herum.

Das war’s im Wesentlichen, konzeptimmanent ganz ansehnlich beim ersten Eindruck im „Rheingold“, aber immer uninteressanter über die folgenden 14 Stunden, die von der Wiederholung dieser Räume „leben“, mit immer wechselnden Figuren darin oder an ihren Außenseiten. Denn es kommt eigentlich nur noch ein hypermodernes vollintegriertes Ausstellungs-Apartment mit eingebauter Küche, WC, Dusche und Waschmaschine sowie kleinem Schlafzimmer neu dazu. Es ist zunächst Hundings moderne „Hütte“. Gleich drauf findet auch hier die Auseindersetzung zwischen Fricka und Wotan statt. Tags drauf ist es Mimes „Höhle“, in der er Siegfried groß zieht, und schließlich der Brünnhilde-„Felsen“ in der „Götterdämmerung, wo sie sich von Siegfried verabschiedet, von Waltraute besucht wird und Siegfried sie als Gunther in Siegfried-Optik überwältigt. Hier schauen auch schonmal die stark gealterten (!) Nornen am Stock vorbei und wundern sich über die gute Qualität der technischen Küchen-Ausrüstung…

Wotan betrachtet das Treiben in Hundings „Hütte“ durch eine nur von ihm aus transparente Scheibe aus seinem Büro – also in einer nicht wirklich nachvollziehbaren Versuchsanordnung. Dann gibt es im „Siegfried“ noch einen kleinen nüchternen Raum mit Behandlungsstuhl und Aufzug, in dem der Jungbursch Fafner als Verstörten in Zwangsjacke mit dem Stumpf des nicht geschmiedeten Schwertes erledigt und anschließend mit dem Waldvogel flirtet, einer jungen Laborangestellten mit Spielzug-Vögelchen.

Die stärksten Momente sind fast die wenigen, in denen alle diese Bühnensegmente mit ihren Banalitäten die Bühne völlig freigeben und eine Figur oder zwei auf freier Fläche mit ihrem Schicksal allein dastehen – wie bei Wotans Abschied in der „Walküre“ oder als Alberich einmal verloren – wenn auch nur in Unterhose – über die leere Bühne wandelt. Bisweilen senkt das ständige Durchschreiten von Türen der sich oft viel zu viel drehenden Bühnenräume deren dramaturgische Wirkung signifikant ab und führt zu theatralischer Verflachung.

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Götterdämmerung: Brünnhilde und Siegfried im Schlafgemach. Foto: Monika Rittershaus

Die Ungereimtheiten – um es diplomatisch auszudrücken…

Es gibt diese am laufenden Band, sodass hier nur einige genannt sein sollen. Die größten entstehen immer da, wo die Bühnenaktion nicht nur nicht im Einklang mit der Wagner-Dramaturgie steht, sondern diese sogar noch konterkariert, als wäre es völlig gleichgültig, was Wagner da ausdrücken wollte. Es geht gleich im „Rheingold“ mit den Kaninchen und Meerschweinchen los, die offenbar die Situation der Forschungsstation zur „Untersuchung menschlicher Verhaltensmodelle in einer Testgruppe“ metaphorisch unterstreichen sollen. Ganz abgesehen davon, dass es für diese Tiere mit bekanntlich ausgeprägtem Fluchtverhalten sicher kein Vergnügen ist, längere Zeit in großer Helligkeit und bei für sie lauter Musik in silberglänzenden Käfigen auszuharren, erscheint ihre Präsenz auch dramaturgisch äußerst zweifelhaft und also nicht nachvollziehbar, falls so etwas überhaupt beabsichtigt sein sollte. Denn an ihnen kann man wohl nicht gerade menschliche Verhaltensmodelle testen, deren Analyse die Inszenierung ohnehin unsinnigerweise durch vermeintliche bis halbseidene Experimente vorgibt. Oder will man etwa aus dem Verhalten eines Kaninchens oder gar Meerschweinchens, selbst nach Verabreichung einer medizinischen Substanz, ableiten, dass es sich dann ähnlich wie ein Mensch verhält?! Man hätte die Tiere also gleich in ihrer regelmäßig lichtgeschützten Holz-Unterkunft belassen können. Oder sich bei Hans Neuenfels mit seinem „Lohengrin“ in Bayreuth 2013 ff. umsehen können. Der hat die – also auch gar nicht neue Idee mit der Versuchsstation und ihren Ratten (aber in Form von Statisten!) bestechend schlüssig umgesetzt – ein Könner des Regietheaters eben…
Die Tiere sollten also für den 3. Zyklus ab dem 29. Oktober unbedingt erlöst werden. Der Tierschutzverein wurde von einigen Zeugen umgehend verständigt, und namhafte Wagnersänger meldeten sich bereits zu klarem Wort. 

Im „Rheingold“ gibt es auch wieder einen berühmten handwerklichen Fehler, der erste von so manchen. Als Wotan zu Fricka sagt, „Um dich zum Weib zu gewinnen, mein eines Auges setzt‘ ich werbend daran.“ zeigt er auf sein erblindetes! Dabei ist das sehende gemeint, denn das erblindete hat er an der Wurzel der Weltesche bei der Suche nach Weisheit am Quell derselben verloren. Es ist gerade für seinen (unternehmerischen) Mut bezeichnend, durch den er sich von allen anderen potentiellen Weltherrschern abhebt, dass er sein letztes Auge für Fricka als seine Frau verwettet hat. Hätte er sie nicht gewonnen, wäre er vollständig erblindet und für die Rolle, die er vorhatte, verloren gewesen. Dass so ein Stockfehler immer noch passiert!

Während über den ganzen Berliner „Ring“ ständig geraucht wird – Wotan fängt damit an, aber auch Fafner, Siegfried, Hagen und andere greifen ständig zum Glimmstängel, des weiteren ständig Brillen geputzt werden, alles mittlerweile langweilende postmoderne Stereotype, haut Alberich mit einem schlichten Prügel zur Disziplinierung total primitiv auf die Tische in Nibelheim, wo seine Sklaven PC-unterstützt an Filigranem mit Feininstrumenten herumbasteln. Mit den beiden Alberich-Verwandlungen macht man sich nicht die geringste Mühe, was aber zu erwarten war. Dabei wären genau die tolle Experimente gewesen! Dass Erda schon bei einer betrieblichen Lagebesprechung mit Kollegen am Konferenztisch sitzt und sich erst später als „Urmutter“ entpuppt, entbehrt eines jeden, auch noch so exotischen Erklärungsversuchs.

Das Finale des „Rheingold“ wird völlig veralbert, indem Donner und Froh kleine pyromanische Experimente zur Belustigung der Angestellten machen und Froh eine Regenbogenfahne wie ein Zauberer aus dem Ärmel schüttelt. Zwischendurch brennt auch mal Wotans Brieftasche… Immerhin nimmt er am Ende eine sehr nachdenkliche Pose an. Das wirkte dann doch in eine verständliche Richtung.

Zum Vorspiel zur „Walküre“ wird zunächst einmal polizeilich mit entsprechender Datenkennung per Video ein aus der Haft entflohener Siegmund gesucht. Hunding kommt als Polizist mit Schiebermütze (gähn!), bekommt sofort Pantoffeln an, legt Siegmund aber lieber noch die Handschellen an, bevor er für alle sichtbar in den Schlafanzug stiegt und sich mit Sieglinde ins Bett legt. Zum herrlichen Vorspiel des 2. Aufzugs stopfen Siegmund und Sieglinde erstmal hektisch ihre Garderobe in große Einkaufsbeutel und verschwinden erst kurz bevor Wotan auftritt und die Sektkorken knallen lässt. Ein Konterkarieren der Musik par excellence! Die Szene Wotan-Fricka im selben Raum, also Hundings Hütte, wird zu einer reinen Bürokratie-Orgie. Sie legt alle möglichen Akten vor, und er muss unterschreiben, darf aber großzügigerweise den Kuli behalten. Wenn man bedenkt, was hier bei Wagner verhandelt wird, ist das ein Witz!

Siegmund und Sieglinde müssen danach erst bei den armen Kaninchen und Meerschweinchen vorbei nach Nibelheim flüchten. Das Ende Siegmunds vollzieht aber auf völlig leerer Bühne, allerdings auch so kaum verständlich. Auf Wotans „Geh!“ zieht sich der Polizist Hunding ordnungsgemäß aus seinem Dienst zurück, während Siegmund im Hintergrund von einem Schlägertrupp abgemurkst wird. Sollte das nun ein Experiment sein ?! Ich hätte es so gern erfahren.

Obwohl der berühmte „Walküren-Ritt“ doch von einiger Bewegung zeugt, sieht man im 3. Aufzug die acht Schwestern lässig nach dem Workout in Trainingsanzügen in den Reihen des Hörsaals sitzen oder besser herumhängen. Die Trainings-Rucksäcke dürfen nicht fehlen. Von herumirrenden Helden fehlt jede Spur. Dabei hätten doch gerade die sich so trefflich für eine Analyse menschlicher Verhaltensmodelle geeignet. Statt eines Feuerzaubers, der natürlich nicht zu erwarten war, malt Brünnhilde mit Rotstift ein paar Wellen auf die Plexiglasscheiben ihres Untersuchungszimmers, banaler geht es nimmer! Danach ziehen beide aber in den Hörsaal, mit dem Wotan langsam von ihr zum Hintergrund hin wegrollt. Das war dann mal ein starkes Bild! Das war eigentlich Brünnhildes Abschied.

Eine der größten Übertreibungen passiert im 1. Aufzug des „Siegfried“. Statt das Schwert zu schmieden, welches immerhin in zwei Stücken zu sehen ist, brennt Siegfried zuerst auf dem Schreibtisch des Hausbesorgers Mime sein brennbares Kinderspielzeug ab und schlägt dann mit einem Riesenhammer die gigantischen Legobausteine kurz und klein, die ebenfalls seine Kindheit prägten. Die Musik wird erheblich gestört. Jeder weiß, was das heißen soll, Siegfried trennt sich von seiner Kindheit! Aber muss das dem Besucher unbedingt mit dem Zaunpfahl, für den gerade der große Hammer hier stehen könnte, eingebläut werden?! Ist die Schwert-Schmiedung an sich nicht bereits der von Wagner ebenso subtil wie klar formulierte Prozess des Abschieds von der Kindheit und der Loslösung vom und den Alten? Warum traut Tcherniakov, und nicht nur er, so nachhaltig dem Werk des Komponisten nicht? Was soll dann andererseits noch der Bär gleich zu Beginn?! Das Waldweben wird zu einer Versuchsreihe für Siegfried und damit jeglicher musikalischer Hingabe beraubt. Da gibt es mehrere schriftlich ausgewiesene Phasen wie „Versenkung und Meditation“, „Suche nach dem inneren Helfer“ oder „Kontaktaufnahme“ etc. Anschließend stößt Siegfried Fafner in Zwangsjacke nach einer Kettenstrangulierung dann doch ganz plump das untere Stück des Schwertes in den Rücken. Beliebigkeit ist alles, von Experimenten kaum noch eine Spur! Die „Untersuchung menschlicher Verhaltensmodelle in einer Testgruppe“ läuft schon hier aus dem Ruder einer wie auch immer gearteten Nachvollziehbarkeit.

Statt mit Erda allein zu parlieren, muss Wotan erstmal das Sitzungszimmer von den vielen Angestellten befreien, um mit ihr, wohl der Chefsekretärin, allein zu sein. Eines hat der Tcherniakov-„Ring“ mit dem Herheim-„Ring“ gemeinsam: Wieder tummeln sich über 30 Statisten auf der Bühne, bei Herheim in weißem Feinripp, bei Tcherniakov in meist spießigen Alltags-Roben – entbehrlich erscheinen sie jedoch bei beiden. Diese Unzahl an herumwuselnden Statisten verwässert ständig die Intensität der von Wagner konzipierten Figuren und ihrer Aussagen. Es geht damit viel an Konzentration verloren. Kurz bevor Siegfried eintrifft, legt der Wanderer – und das ist er hier eben ganz und gar nicht – Brünnhilde zu ihrem Spaß auf die Untersuchungs-Pritsche. Sie macht sich wiederum eine neckisch-kokette Hetz‘, quasi experimentell unter Siegfrieds belustigter Beobachtung „aufzuwachen“… Auf der Galerie stehen Wotan und die Nornen und sehen zu.

In der „Götterdämmerung“ haben die Gibichungen das Zepter übernommen und Sitzungszimmer und Büro auf modernste Art und Weise aufmöbeln und -stuhlen lassen. Dennoch bestimmt das wechselnden Bewohnern dienende vollintegrierte Ausstellungs-Apartment den gesamten 1. Aufzug und strahlt somit einige Langweile aus, zumal mit der ständig grellen Beleuchtung. Der fast nackte Alberich schmiegt sich Hagen im Hörsaal an, wozu er sein Pullover-Stricken unterbricht. Im Finale steht Brünnhilde mutterseelenallein auf der weiten Bühne mit der Reisetasche. Erda zeigt ihr wie zuvor eine Anstaltsassistentin Siegfried den motorbetriebenen Waldvogel! Musikalisch verhallt das ganze grandiose Finale im Nichts. Wagner wollte hier aber etwas ganz anderes sagen. Dmitri Tcherniakov meint wohl, er wisse besser. 

Die Personenregie

Eines muss man Regisseur Dmitri Tcherniakov lassen. Er kann Personen führen und eine ausgefeilte und mimisch intensive Personenregie konzipieren. Das war auch in diesem „Ring“ wieder der Fall, wobei ihm die große Wagner-Erfahrung der weitaus meisten Protagonisten und auch eine lange Probezeit zugute kamen. Allein, diese Personenregie fand in einem Regiekonzept statt das, wie hier beschrieben, einen Großteil des Publikums ganz und gar nicht überzeugte.

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Götterdämmerung. Alberich und Hagen. Foto: Monika Rittershaus

Das Sängerensemble

Die Berliner Staatsoper bewies ein äußerst gutes Händchen mit der Auswahl der Sänger für diese Neuinszenierung. Sie wurden mit Christan Thielemann zu einem Garanten musikalischer Qualität über alle vier Abende und konnten manches Ungemach der Inszenierung in seiner Bedeutung reduzieren, aber nicht vergessen machen. Michael Volle ist der wohl beste Rollenvertreter des Wotan derzeit weltweit. Was er an vokaler Intensität von „Rheingold“ bis „Siegfried“ in die Waagschale warf, bei einer phantastischen Darstellung der Rolle in ihren vielfachen Facetten, und dann sogar noch als stumme Rolle in der „Götterdämmerung“ – das war einfach einzigartig. Anja Kampe wäre eine Brünnhilde auf Augenhöhe mit Volle und beeindruckte einmal mehr mit ihrer sängerisch betonten, warmen vokalen Ausstrahlung und einem äußerst emotionalen Spiel. Allerdings war zu merken, dass nach „Walküre“ im Finale des „Siegfried“ doch stimmliche Grenzen erreicht wurden, die auch in der „Götterdämmerung“ anklangen. Eine komplette Brünnhilde in einer Woche ist für die begnadete und charismatische Sängerin nicht das Empfehlungswerteste. Anja Kampe ist keine Hochdramatische. Andreas Schager bestach mit einer enormen stimmlichen Kraft und Ausdauer als Siegfried. Er hat offenbar seine Stimmstärke mittlerweile etwas besser in den Griff bekommen, obwohl gerade in dieser Inszenierung subtile und zurückhaltendere Elemente der Rolle ohnehin nicht so bedeutsam sind. Sehr gut ist auch seine Textverständlichkeit und die Authentizität seines Spiels, obwohl man ihn hier eher zum Untypen machte.

Johannes Martin Kränzle war wieder ein Weltklasse-Alberich mit einem samtenen, dennoch ausdrucksstarken Bassbariton und einer souveränen Darstellung, worin immer diese an seinen drei Abenden auch bestand. Vida Miknevičiūtewar eine optisch, sängerisch und schauspielerisch hinreißende Sieglinde und reüssierte auch mit einem starken Auftritt als Freia. Rolando Villazón, man wunderte sich schon etwas über die Besetzung, konnte als Loge nicht den Eindruck machen, den diese zentrale Figur neben Wotan idealerweise machen sollte. Dazu war er nicht nur wegen der entsprechenden Personenführung verurteilt. Auch stimmlich erschien sein Vortrag nicht der passendste für einen Loge. Die Stimme klang belegt, bisweilen gar fahl und ließ es bisweilen an Schärfe für den scharfsinnigen Feuergott missen (der er aber natürlich nicht sein durfte). Villazón hatte jedoch einen Riesenspaß mit der Rolle, wie er beim Schlussvorhang zeigte, bei dem ihn einige Buh-Rufer nicht zu stören schienen. Sympathisch. Robert Watson fiel etwas gegen die anderen Sänger ab. Noch relativ uncharismatisch, hat seine Stimme auch noch nicht die für den Siegmund erforderliche Kraft und Ausdrucksstärke. Mika Kares hat mit dem Hunding und vor allem dem Hagen an einem großen Haus einen enormen Schritt nach vorn gemacht. Er ist kein schwarzer Bass, aber  ein klangvoller und eloquenter Sängerdarsteller, der sicher eine gute Karriere vor sich haben wird. Er verlieh auch dem Fasolt ungewöhnliches vokales Format.

Stephan Rügamer gab einen bürokratischen aber differenziert agierenden Mime mit einem guten Charaktertenor. Peter Rose als Fafner stand ihm stimmlich kaum nach. Anna Kissjudit war eine exzellente Erda mit klangvollem Mezzo. Claudia Mahnke sang eine gute „Rheingold“-Fricka. Im Siegfried wirkte die Stimme etwas belegt. Violeta Urmana sang mit relativ wenig Aktivität eine gute Waltraute-Erzählung. Lauri Vasar war ein agiler Donner und ein zwar wohlklingender, aber stimmlich etwas zu leichter Gunther, was gerade dieser Rolle durchaus entgegenkam. Mandy Fredrich war eine stimmlich leichte Gutrune, ähnlich wie Siyabonga Maqungo als Froh.

Die drei Rheintöchter, Evelin Novak als Woglinde, Natalia Skrycka als Wellgunde und Anna Lapovskaja waren bestens besetzt, ebenso wie die Nornen Noa Beinart (Erste), Kristina Stanek (Zweite) und Anna Samuil (Dritte). Sie wuselten immer wieder über die Bühne als Statistinnen und sind am Ende dem Tode nahe, was aber keinen Sinn macht, wieder mal…. Victoria Randem sang einen glockenreinen Waldvogel und bezirzte Siegfried mit dem Spielzeugvogel. Also hatte er sich doch nicht ganz von der Kindheit getrennt?! Clara Nadeshdin als Gerhilde, Anna Samuil als Ortlinde, Natalia Skrycka als Grimgerde, Christiane Kohl als Helmwige, Michal Doron als Waltraute, Alexandra Ionis als Schwerteilte, Anna Lapovskaja als Grimgerde und Karis Tucker als Roßweiße gaben ein gutes Walküren-Oktett, nur ein regiebedingt phlegmatisches.

Christian Thielemann, der ja immerhin in diesen Zyklus eingesprungen war und noch den dritten dirigieren wird, wurde nach dem „Rheingold“ mit triumphalem Applaus empfangen, obwohl musikalisch bei aller Qualität der auch an diesem Abend hochmotivierten Staatskapelle Berlin sich für die kommenden Abende noch Luft nach oben andeutete. Der Vorabend dauerte immerhin über zwei Stunden und 40 Minuten, und es wackelte einiges ganz zu Beginn. Thielemann und die Staatskapelle fanden schon in der „Walküre“ zu einem zauberhaften Zusammenspiel, welches sich bis zum Schluss fortsetzte. Dabei ließ der Maestro in seiner bewährten Form den Musikern viel Freiheit zum Ausgestalten ihrer Parts. Andererseits behielt er aber stets die musikdramatischen Zügel fest in der Hand. Das brachte eine gute musikalische Symbiose im Graben. Man hörte in den kontemplativen Momenten, und nicht nur da, viele kunstvolle Details, die man sonst nicht ohne Weiteres gewahrt. Bisweilen kam es zu einem musikalisch facettenreichen Erzählstil bei einer faszinierenden Detailverliebheit. Auch der von Martin Wright einstudierten Staatsopernchor wurde von Thielemann musikalisch sehr gut eingebunden und sang auch stimmstark und transparent. Man hatte den Eindruck, dass sich die Staatskapelle und Maestro Thielemann an diesen vier Abenden bestens zusammengefunden haben. Daraus könnte sich mehr entwickeln. Fraglich ist, wie diese Inszenierung wegkommt, wenn einmal nicht Thielemann am Pult und ein solches Sängerensemble auf der Bühne stehen sollte.

Das leading team kam erst nach einer gefühlten Ewigkeit heraus und erntete einen wahren Buhorkan des Publikums im vollbesetzten Haus. Er hatte ähnliche Dimensionen wie jener für Valentin Schwarz und seine Neuinszenierung in Bayreuth Anfang August. Zu viele Ungereimtheiten, zu häufige Negierungen zentraler Elemente der „Ring“-Geschichte und -Dramaturgie und somit auch ein Konterkarieren nicht nur der Regieanweisungen, aber auch des Librettos von Richard Wagner, waren einem Großteil des kenntnisreichen Publikums einfach zu viel. Erstaunlich nur, dass der Regisseur, den die Reaktion des Publikums offenbar kaum beeindruckte, nicht den Mut hatte, sich allein vor dem Vorgang dem Publikum zu präsentieren. Oder zumindest allein mit den Kollegen des leading team. Darauf wartete man vergebens…

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Siegfrieds Tod. Foto: Monika Rittershaus

Es mag kein Zufall gewesen sein, dass der Chefdirigent der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan, ausgerecht während der Premiere der Berliner „Ring“-Neuinszenierung, heftige Vorbehalte gegenüber der weiteren Entwicklung des Regietheaters zum Ausdruck gebracht hat, wenn auch aus anderen, teilweise mit seiner Rolle an der Wiener Staatsoper Wien zusammen hängenden Gründen. Wörtlich sagte er: „Dazu muss ich grundsätzlich sagen, dass ich glaube, dass unser Theater, was die Regie betrifft, seit langer Zeit einen fatalen Irrweg eingeschlagen hat. … Das Publikum hat eine richtige Sehnsucht, einfach wieder einmal gutes Theater zu sehen und nicht nur irgendeine Fassung von Irgendjemandem oder Irgendwas. …. Letztendlich führt dieser Weg auf Dauer zu einem unvermeidlichen Scheitern.“ (KURIER Wien, 2.10.2022).

Mit der Norn aus dem Prolog der „Götterdämmerung“ möchte man sogleich zum Wagnerschen Regietheater fragen: Weisst du, was aus ihm wird?“ Aber fragt auch einmal einer der Verantwortlichen, was das Publikum will oder was es auch schätzen würde?! So machte es einst GMD Ulf Schirmer, als er 2013 die Oper Leipzig nach ihrem großen Niedergang auch als Intendant übernommen hatte und nach einer interessanten Publikums-Befragung auf eine solche Höhe führte, dass das Festival WAGNER 22 vom Juni 2022 (der online merker berichtete), das alle 13 Bühnenwerke des Bayreuther Meisters zeigte, für die „Opera Awards“ am 28. November 2022 am Teatro Real in Madrid in der Kategorie Festivals nominiert wurde. Wollte nicht auch Richard Wagner mit seinen aus einem inneren Antrieb heraus entstandenen Bühnenwerken ein Publikum erreichen?!

Klaus Billand

Liebe Grüße

Willi?

 

 

 

 

 

 

 

Der desillusionierende Fahrplan der Deutschen Bahn ließen mich auf den Besuch des Klavierrecitals des großartigen Igor Levit in der Kölner Philharmonie verzichten und nach einem knapp 5000 Schritte langen Rundgang zum neuen Online Merker greifen, der heute in meinem Briefkasten lag und in dem die Elogen des Wiener Meistersingers weitergehen:

WIEN/ Staatsoper: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – Neuinszenierung

Wien/Staatsoper: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – NI am 8. Dezember 2022

Akribische Verflechtung von Musik und szenischer Auflösung

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  1. Akt, Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Die Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner, keine Komödie, sondern nach des Bayreuther Meisters Bezeichnung eine „Oper in drei Aufzügen“, in der Regie von Regie-Altmeister Keith Warner, führt uns angesichts der derzeitigen Wagner-Ästhetik an der Wiener Staatsoper („Parsifal“ und „Tristan und Isolde“) relativ unerwartet in die Gefilde eines Inszenierungsstils, den manche schon für überholt halten, die große Mehrheit der Wagner-Liebhaber aber aufgrund seiner Nähe zu Werkaussage, Libretto und Musik für viel angemessener, ja wünschenswert und richtig erachten. So war der zielsicheren Hand des Regisseurs, der auch noch mit dramaturgischer Unterstützungen keines Geringeren als Barry Millington arbeiten konnte, am Ende der Premiere ein Riesen-Publikumserfolg beschieden. Doch dazu später mehr. Ebenso herzlich wurde der Dirigent der – vom Autor ebenfalls besuchten – Premiere am 4. Dezember, Philippe Jordan, vor dem Vorgang empfangen, der sich vor Blumensträußen kaum retten konnte. Ein äußerst seltener Vorgang in Wien mit zweideutigen Intentionen.

Es ging schon gleich damit los, dass Warner zum ja relativ langen Vorspiel den Vorhang unten lässt, sodass man sich – wie in der Regel von den Komponisten gewünscht – rein musikalisch auf das Werk, das vor einem liegt, einstimmen kann. Die ständige Reizüberflutung inszenierter Vorspiele, in denen des Öfteren auch noch Taten gezeigt werden, die gar nicht aus dem Stück abzuleiten sind (Beispiel: „Lohengrin“ zu Ostern in Salzburg von Wieler/Morabito/Viehbrock), ist ohnehin kaum noch auszuhalten. Schon hier zeigt sich die Theaterpranke des Regisseurs Warner, der den Vorhang erst kurz vor Ende des Vorspiels heben lässt, um Hans Sachs dann auf der Bühne ganz allein zu zeigen, mit dem schlafenden David am Stuhlbein. Offenbar unzufrieden geht Sachs poetischen Aktivitäten nach. Sofort wird klar, Keith Warner stellt Hans Sachs in den Mittelpunkt dieser Inszenierung, und zwar nicht nur als Schuster und Poet, sondern als Mensch mit allen Vorzügen und Mängeln, der nicht nur kompetent schwierige Situationen lösen kann, sondern auch große Probleme mit sich selbst hat, von denen Millington in einem hervorragenden und durchdachten Aufsatz im sehr guten Programmheft schreibt. So sieht Sachs durchaus seine Schwächen und in Stolzing den Künstler, der letztlich einen ganz neuen Weg in der Sangeskunst beschreitet, der ihm, dem großen Sachs, verwehrt blieb.

Auch ist seine persönliche Vergangenheit noch längst nicht verarbeitet. Schon auf der Festwiese kommt einmal kurz seine freilich verstorbene Frau mitten im Tanz der „Mädel von Fürth“ auf die Bühne zu ihm, auf der er mit den jeweiligen Ständegruppen ohnehin eine offenbar bedeutungsschwere Beziehung zeigt. Sie lässt ihn tief ergriffen, ja einem Zusammenbruch nahe, zurück. Als sich das Gesangspodium vor der Präsentation Beckmessers wie von unbekannter Hand öffnet, wird ein Grab mit Kreuzen für Hanz Sachs und seine Frau sichtbar. Verzweifelt kniet er vor dem Grabe nieder, sodass er nicht sieht, dass oben seine Frau über das Podium schreitet. Das sind interessante und surreale Regieeinfälle, die klarmachen, dass es in Sachs noch andere emotionale und ganz persönliche Empfindungen und Ebenen gibt als der vielleicht bedauerte Verzicht auf Eva („Mein Kind, von Tristan und Isolde kenn‘ ich ein traurig‘ Stück…“). Dazu gehört auch sein übertriebenes Schuheklopfen und solchermaßen intensives Schikanieren Beckmessers bei dessen Werbelied in der Nacht des 2. Aufzugs. Hier offenbart sich, wie Millington durchaus verständlich meint, eine „psychische Krise, eine Art Zusammenbruch“. Irrationale unmenschliche Komponenten hätten die Oberhand über die besseren Instinkte des Menschen Sachs gewonnen, was er in seinem späteren Wahn-Monolog im Prinzip selbst anerkennt.

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Michael Volle (Hans Sachs), Foto: (s. o.)

Warner zeichnet also ein weit vielschichtigeres Bild der Figur des Sachs, stellt ihn in den Mittelpunkt der Handlung sowie all ihrer entscheidenden Momente und geht somit in einer nachvollziehbaren und einleuchtenden Art und Weise weit über eine rein konventionelle Interpretation der Hauptfigur und damit um sie herum gestaltete Inszenierung hinaus, ohne jemals in Accessoires des Wagnerschen Regietheaters zu verfallen. Damit erlangt der Abend auch eine große innere und inhaltliche Spannung, die Philippe Jordan mit dem Orchester der Wiener Staatsoper musikalisch ständig unterstützt. Einige Male, als Sachs besonders kontempliert, taucht die Figur eines Kobolds (Josef Borbely) auf, den Bogdan Roščić in der Einführungsmatinee als Friedrich Nietzsche vorstellte.

Nun ist aber auch zu sagen, dass dem leading team zu dieser Interpretation des Sachs ein ganz exzellenter Vollblutkünstler zur Verfügung stand, ja nicht nur ein Sängerdarsteller, sondern ein Sängergestalter. Michael Volle, der schon in der „Meistersinger“-Produktion von Barry Kosky in Bayreuth brillierte, ist nun auch der Wiener Sachs und inkarniert diese Sichtweise der Hauptfigur auf bestechende, einnehmende und nachvollziehbare Art und Weise. Er ist in jedem Moment, in dem er auf der Bühne steht, und das ist bei Warner fast die ganze Zeit, die Hauptfigur, um die sich die anderen scharen, von deren Aktionen und Eingebungen sie abhängen, direkt sichtbar oder virtuell, womit nichts gegen die Qualität dieser anderen Akteure gesagt sein soll. Volle ist einfach  d e r  Sachs mit seiner großartigen Persönlichkeit, die er auch dem Wotan verleiht – momentan fraglos der beste Vertreter dieser beiden, und nicht nur dieser Rollen, wenn man an seinen Barak denkt. Ein Künstler im Zenit seiner Kunst! Und dazu kommt sein Bassbariton mit Tendenz zum Heldenbariton, der aber auch die Tiefen gut meistert und den er technisch perfekt und stets ausdrucksstark führt und somit die Handlung auch stimmlich intensiviert. Eine perfekte, Handlung und Aussage unterstützende Mimik tut ihr Übriges. Ein Höhepunkt in diesem menschlichen Kontext des Sachs in der Interpretation von Michael Volle ist neben seinem in tiefste gedankliche Tiefen gehenden und mit feinstem Legato garnierten Wahn-Monolog sein Ausbruch in der Schusterstube mit „Hat man mit dem Schuhwerk nicht seine Not! Wär ich nicht noch Poet dazu, ich machte länger keine Schuh!…“ Das ging wahrlich unter die Haut und wirkte unglaublich authentisch – so als hätte der Künstler tatsächlich diese Probleme.

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David Butt Philip (Stolzing), Foto: dito

Und in diesem Moment, mit ihrer Replik „O Sachs! Mein Freund! Du teurer Mann! Wie ich dir Edlem lohnen kann! Was ohne deine Liebe, was wär ich ohne dich, ob je auch Kind ich bliebe, erwecktest du mich nicht?…“, wächst nun auch die junge Hanna-Elisabeth Müller über sich hinaus, deren Stimme bisher vielleicht ein wenig zu leicht für die Rolle der Eva erschien. Hier beweist sie, und darstellerisch ohnehin schon den ganzen Abend, dass sie die Richtige für diese so anspruchsvolle Rolle im Spannungsfeld zwischen Sachs und Walther ist. Ihr Partner, David Butt Philip, der schon als Boris im Sommer in der Salzburger „Katja Kabanova“ auffiel, verkörpert den Walther mit einem klangvollen und stets höhensicheren Tenor in der Tat als Schöpfer einer neuen Entwicklung im Liedgesang, das kreative Genie, zu dem Sachs, und das ist an Volles Spiel zu erkennen, nicht in der Lage war, das er aber erkennt und deshalb fördert. Beckmesser hingegen, und das zeigt Wolfgang Koch mit einer ebenso bestechenden wie Mitleid erregenden Charakterstudie des Stadtschreibers, ist das Scheitern an sich selbst, an seinem Mangel an eigener Kreativität, ohne es wegen seines übersteigerten Egos zu merken, was freilich von Sachs auch ausgenutzt wird, um ihm einen noch tieferen Fall zu bescheren. Koch wirkt mit seinem Bassbariton, der bekanntlich schon den Wotan in Bayreuth gesungen hat, bisweilen stimmlich bereits etwas zu schwer für die Partie, meistert die ebenso undankbare wie facettenreiche Rolle aber mit hoher darstellerischer und vokaler Integration.

Barry Millington stellt eine interessante These auf, der man tatsächlich einiges abgewinnen kann. „In gewisser Weise sind Sachs, Beckmesser und Walther drei Facetten einer einzigen Person. Zunächst sind sie alle Außenseiter und zeichnen sich auch durch das für Außenseiter so typische gestörte psychische Gleichgewicht aus.“ Sachs sei mit Schuld an den Tumulten und begreife erst im Laufe der Oper, mit dem Erlernen der Resignation, in der Psychologie als Akzeptanz bezeichnet, zu leben. Beckmesser finde in dieser Inszenierung wie jeder Mensch, der Ablehnung erfährt, seinen eigenen Prügelknaben. Warner lässt ihn nach seiner Niederlage auf den Treppen des Gesangspodests traurig niederkauern, dass sogar Sachs eine helfende Hand reicht. Schließlich geht er unbeachtet mit der Menge ab. Walther, der zu Beginn noch ungeduldig und arrogant wirke, reife am Ende zu einem ruhigeren, weiseren Mann. Diese Rollenauffassung wurde von Keith Warner mit seiner ohnehin immer exzellenten Personenregie klar erkennbar umgesetzt und wirkte am Ende auch völlig schlüssig. Georg Zeppenfeld mit seinem profunden und klar artikulierenden Bass sowie intelligenten Spiel nahm als Pogner in diesem Kontext eher eine marginale Rolle ein, ebenso wie Christina Bock mit einem guten Mezzo als Magdalene. Michael Laurenz konnte sich hingegen mit einer etwas protagonistischeren Rollengestaltung als David präsentieren und machte das mit seinem kräftigen Tenor und großem Schauspieltalent ausgezeichnet. Martin Häßler blieb als Fritz Kothner stimmlich etwas blass. Jörg Schneider (Kunz Vogelgesang), Stefan Astakhov (Konrad Nachtigall), Lukas Schmidt aus dem Opernstudio (Balthasar Zorn), Ted Black aus dem Opernstudio (Ulrich Eißlinger), Robert Bartneck (Augustin Moser), Nikita Ivasechko aus dem Opernstudio (Hermann Ortel), Dan Paul Dumitrescu (Hans Schwarz) und Evgeny Solodovnikov (Hans Foltz) waren an diesem Abend die „kleinen“ Meister.

Das Bühnenbild von Boris Kudlička passte mit dem Licht von John Bishop perfekt zu diesem Regiekonzept. Es setzt zunächst auf einen großen, halbrunden Raum in dunkelblau, der aus mehreren Segmenten besteht und im ersten Aufzug noch die bestehende Ordnung der Meistersinger-Welt insinuiert, in die Elemente der Singschule, wie Pulte und stilisierte Notenblätter sowie einige Möbel zum Auftritt der Meister, eingebracht werden. Schon das erste Bild zum Ende des Vorspiels zeigt aber Sachs allein in dem großen Raum und setzt damit den Akzent des Regiekonzepts, welches sich um diese Figur dreht. Später, wenn diese Welt in Unordnung gerät, löst sich die Harmonie der Raumsegmente auch, sie kehren sich um, offenbaren nun Leitern und eine etwas in Unordnung geratene Ästhetik, allein schon durch die quirligen Malereien auf den Rückwänden. Natürlich erscheint dann auch einmal der Begriff WAHN in großen Lettern. Die Schusterstube löst sich in ihre Bestandteile auf, das Bühnenbild suggeriert Änderungen auf allen Ebenen.

Zu Beginn des 2. Aufzugs ist sogar ein Ballett (Europaballett St. Pölten) in einem zylinderförmigen Lichtraum zu sehen, so als wolle es die kommende Dynamik der Entwicklung tänzerisch andeuten. Spektakulär wird es in der Prügelszene, mit einem großen Aufbau für den Chor und – schließlich wieder im ganz Kleinen und Persönlichen – einer Wendung des Nachtwächters (gut: Peter Keller) als Sensenmann gegen den wieder einmal allein verbliebenen Sachs. Ein starker Regieeinfall nach dem heftigen Treiben zuvor! Auch die Festwiese prunkt mit einem raumgreifenden und farbenfreudigen Aufbau für den Chor, den Extrachor und die Chorakademie der Wiener Staatsoper, die von Thomas Lang bestens einstudiert wurden. „Wacht auf,…“ war eine Wucht! Karl Alfred Schreiner war für die gute Chorographie zuständig. Akhila Krishnan steuerte einige nicht allzu sehr ins optische Gewicht fallende Videos bei. Es geht dem Regisseur aber auch um Zeitlosigkeit der Handlung und damit um ihre universale Relevanz. So ist auch einmal ein klassizistischer Torbogen zu sehen, und die geschmacklich stets treffsicheren Kostüme von Kaspar Glarner zeigen Designs aus dem 16. Jahrhundert, also der Zeit des Stücks bis zum Heute, dies aber mit deutlicher Betonung.

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Festwiese, 3. Akt, Foto: dito

Ganz großartig dann das Finale! Nach der immer wieder als umstritten gesehenen Schluss-Ansprache des Sachs mit ihrem vermeintlich nationalistischen Bias erscheint der ganze Chor mit Büchern zur Kunst aus allen Gattungen, also den bildenden Künsten mit v.a. der Malerei, Bildhauerei, Baukunst, Zeichnung, Grafik, Kunsthandwerk einerseits und den darstellenden Künsten mit v.a. Theater inkl. Musiktheater, Tanz, Gesang, Medienkunst und Konzeptkunst andererseits, und dazu noch aus vielen Gegenden der Welt, und überreicht diese langsam Sachs im Vordergrund. Keith Warner hebt mit diesem faszinierenden und auch ergreifenden Moment die Schluss-Ansprache über jeden Verdacht nationaler oder gar nationalistischer Einengung auf die viel höhere Ebene der Kunst als universaler menschlicher kultureller Errungenschaft hinaus. Aber wie Barry Millington dennoch so zutreffend schreibt: „Wahn ist heute noch allgegenwärtig und wird es immer sein – er stachelt uns dazu an, unsere Mitmenschen förmlich zu zerfleischen … Das ist vielleicht die größte Erkenntnis – und die größte Herausforderung – der „Meistersinger“.

Nicht zuletzt dieser Regieeinfall dürfte das Produkt der Art und Weise sein, wie Keith Warner Regie führt. Dazu hat seine langjährige Regiemitarbeiterin und Assistentin sowie freiberufliche Regisseurin und seit 2019/2020 Spielleiterin an der Oper Frankfurt, Katharina Kastening, im Programmheft einen interessanten Aufsatz mit dem Titel „Keith Warner als Regisseur“ verfasst. Interessant ist gleich zu Beginn zu lesen, dass Warner „alle Wagner-Opern“ zweimal inszeniert hat, wobei anzunehmen ist, dass sie sich auf den Bayreuther Kanon bezieht, die „Meistersinger von Nürnberg“ aber noch nie. Kastening schreibt da, dass man „von seinen Produktionen jedenfalls hervorragendes komödiantisches Timing, geschichtliche Genauigkeit und kluge Kommentare zu historischen Ereignissen und Denkweisen erwarten“ kann. Und „er weist immer wieder darauf hin, dass trotz der Länge der Werke nichts davon überflüssig ist – jeden Satz, jedes Motiv und jede rhythmische Komposition muss es geben, damit die Themen und der politische Inhalt dieser Stücke skizziert werden können, sodass letztlich das Publikum dazu gebracht wird, seine Wirklichkeiten zu hinterfragen!“ Neben manch anderem ist darin auch dieser politisch zu begründende Schluss der Wiener „Meistersinger“ enthalten.

Aber Kastening offenbart noch eine andere ganz Qualität Keith Warners als Regisseur. Er setzt sich so früh wie möglich, manchmal Jahre zuvor, mit den Dirigenten der Neuinszenierungen ins Benehmen. So sieht sie seine „wahre Handschrift“ im „tiefen Verständnis und einer akribischen Verflechtung von Musik und szenischer Auflösung.“ Im Dialog mit den Dirigenten wird über Interpretationen gesprochen, werden Ideen ausgetauscht, das Konzept diskutiert und schließlich eine gemeinsame Vision geschaffen. „Für Keith Warner sind ‘Musik und Text‘ gleichberechtigte Partner.“ Wann ist das im heutigen Wagner-Theater, insbesondere im mittlerweile schon nahezu als „klassisch“ zu bezeichnenden Regietheater zu erleben? Wie oft, auch in Bayreuth, gibt es diese intensive Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Dirigent, und dazu noch von so früh an, nicht?! Man denke nur an den Schlussapplaus der Castorf-„Ring“-Premiere in Bayreuth 2013 und einige andere große Premieren, auch in Salzburg – Regisseur für sich, Dirigent für sich…

Dann hebt Kastening Warners Qualitäten seiner detailreichen „Chorregie“ hervor. Eingehend auf jede einzelne Chorstimme arbeitet er mit den Choristen konkrete Reaktionen innerhalb jeder Chorgruppe heraus, was dem Chor im Stück eine „unglaubliche Tiefe“ verleiht. Auch das war an diesem Abend zu bemerken. Die Autorin nimmt im letzten Teil des Aufsatzes noch interessant Stellung zur Warners individueller Arbeit mit den Darstellern, was die Basis für seine intelligente „Personenregie“ sei und häufig Diskussionen über Politik, Geschichte und Soziologie im Probenraum zur Folge hat. Allerdings gendert Kastening die letzte Seite ihres Aufsatzes mit der vom Deutschen Rechtschreibrat noch im März 2021 offiziell abgelehnten, da nicht norm-gerechten Formulierung „:innen“ so stark durch, dass der Lesefluss erheblich stockt und das Lesen kaum noch Freude macht. Es ist aber auch ein eindrucksvolles Beispiel für die Problematik eines konsequenten Genderns über einen kleinen Text hinweg und erklärt einmal mehr, warum über zwei Drittel der deutschsprachigen Bevölkerung das Gendern ablehnen.

Im Übrigen liest sich der ganze Aufsatz von Kastening wie eine Gebrauchsanweisung gegen das Wagnersche Regietheater. Denn was sie Warner hier zuschreibt und auch der Realität entspricht, wie man aus vielen seiner Wagner-Inszenierungen ablesen kann, ist seine Überzeugung von der Notwendigkeit, dass „Text und Musik gleichberechtigte Partner“ sind. Und damit kann das Wagnersche Regietheater, wie man es zuletzt in Aix en Provence, zu Ostern in Salzburg, in Wien, Bayreuth und Berlin an beiden dortigen Häusern et al. erlebte, nachweislich herzlich wenig anfangen. Und große Teile des Opernpublikums, des alten wie des jungen, auch nicht.

Das wiederum führt bezüglich der Wiener Neuinszenierung der „Meistersinger“ nun zu Philippe Jordan und dem Orchester der Wiener Staatsoper an diesem Abend. Was da an musikalischer Intensität, Kompaktheit und innerer Spannung zu hören war, zunächst in der Premiere, aber mehr noch in der ersten, hier besprochenen und vielleicht von weniger Spannung begleiteten Reprise, war höchst eindrucksvoll, zeitweise mitreißend und zur szenischen Lösung im hohem Maße komplementär – eben genauso, wie es Warner immer vorschwebt. Schon das Vorspiel dirigierte Jordan mit flüssigen Tempi und expressivem Duktus wie aus einem Guss. Im weiteren Verlauf beeindruckte sein intensives Eingehen auf die Sänger und den Chor, aber auch seine Hinwendung zu Dramatik und gesteigerter Dynamik, wenn einmal nicht gesungen wurde. So war endlich einmal wieder eine Wagner-Aufführung zu erleben, in der Musik und Szene, und dazu noch mit einigen der weltbesten Sängerdarsteller, eine Einheit bildeten, die niemanden, der das Werk kennt, unberührt lassen konnte.

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Schlussapplaus Premiere, Foto: Klaus Billand

Entsprechend war der Applaus für alle, in der Premiere mit vielen – sicher auch doppeldeutig gemeinten – Blumenwürfen für Philippe Jordan, der das Haus ja bald verlassen wird, aber auch mit Riesenapplaus für Keith Warner. Sobald er auf der Bühne war, dokumentierte dieser seine große Sympathie für das gesamte Team, eben auch für den Musikdirektor. Wien und seine lang schon darbenden Freunde des Wagnerschen Oeuvres können sich wieder über eine gute Produktion freuen, die keineswegs in der Ästhetik eines August Everding oder Otto Schenk steht, sich aber mit überzeugenden konzeptionellen und szenischen Lösungen sowie guter und werkrelevanter Personenregie und Textverarbeitung weit entfernt von den Desavancen des Wagnerschen Regietheaters verortet.

© Klaus Billand

Liebe Grüße

Willi ?

Die Kritiken des renommierten Wagner Kenners Dr. Klaus Billand entwickeln sich zu einem besonders lesenswerten Bereich in unseren Troubadour-Forum.

Mit herzlichem  Dank begrüßen die Sängerfreunde unser Mitglied und Merker-Kollegen Dr. Klaus Billand.

Nachdem ich heute Nachmittag diese Rezension Klaus Billands eingestellt hatte, habe ich sie nun auch noch mal aufmerksam gelesen und kam dann am Schluss zu dem Abschnitt über das Dirigat Philippe Jordans und möchte darauf kurz eingehen, auch wenn meine Eindrücke sich auf Werke beziehen, die nicht (unbedingt) zur DNA unseres Forums gehören, nämlich die neun Symphonien Beethovens, die er 2014 und 2015 mir seinem damaligen Pariser Orchester eingespielt hat und die ich mir nun nach und nach intensiv vornehme (Nr. 1. 2, 7, 8 und 9 habe ich schon durch). Da habe ich schon die gleichen Feststellungen gemacht, die Klaus Billand in der Meistersinger-Vorstellung gemacht hat, nämlich eine künstlerische Einheit herbeizuführen im Sinne des Werkes zwischen allen an der Aufführung Beteiligten. Das betraf nicht nur die Gestaltung von Tempo, Rhythmus und Dynamik, sondern hier kommt ja noch die überwiegende Einbeziehung des Vokalen als Ausdrucks- und Darstellungskomponente hinzu, und deswegen kann ich mir vorstellen, dass ihm (Jordan) beim Erfolg dieser Vorstellung sicherlich ein besonders großes Verdienst zuzurechnen ist.
Um auf die Beethoven-Sinfonien zurückzukommen, erwähnte Jordan im Booklet der Aufnahme, dass das Pariser Orchester diese noch nie eingespielt hätte, und im Ergebnis klang das aber so, als wenn sie genau das Gegenteil gemacht hätten.

Liebe Grüße

Willi?

An dieser Stelle erfolgt nun ein Nachtrag aus dem 9. 9. – 1. 10. 2022, auf den ich erst durch den gestern zugesandten Neuen Merker 1/2023 aufmerksam wurde:

OLDENBURG/Staatstheater: DER RING DES NIBELUNGEN im September/Oktober 2022

05.10.2022 | Oper international

Oldenburg: Nachtrag DER RING DES NIBELUNGEN im September/Oktober 2022

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„Das Rheingold“: Fricka strickt, Wotan Mitte, hinten Erda und Loge stehend. Copyright: Stefan Walzl/ Staatstheater Oldenburg

Kenner, Könner und Liebhaber am Werk – oder wie man mit einfachen Mitteln einen „Ring“ inszeniert!

Der bereits im Jahre 2017 begonnene und wegen der Pandemie mehrfach aufgehaltene neue „Ring des Nibelungen“ am Oldenburgischen Staatstheater wurde im Herbst 2022 dreimal zyklisch aufgeführt. Das oldenburgische Publikum und die von weither angereisten Gäste erlebten eine überaus lebhafte, völlig stimmige und dennoch phantasievolle Interpretation, die sie zu großer Begeisterung mit oft stehenden Ovationen hinriss.

Der österreichische Regisseur Paul Esterházy, mit dem Intendanten Christian Firmbach schon länger von gemeinsamer Arbeit an einem anderen Hause bekannt, wählte mit seinem kongenialen Bühnen- und Kostümbildner Mathis Neidhardt ein rustikal-bäuerliches Ambiente in einem immer wieder rotierenden Bühnenbild aus Scheunenholz. Das erwies sich als eine für ein relativ kleines Haus nahezu ideale Lösung, Wagners „Ring“ in einer menschlich intensiven und emotional fokussierten Ästhetik zu erzählen. Dabei ergab sich der Eindruck einer gewissen Familien-Saga relativ stringent und ganz beiläufig, wie sie im Sommer 2022 in Bayreuth von Valentin Schwarz so bemüht, lautstark postuliert und dann doch weitgehend verfehlt wurde.

Der Oldenburger „Ring“ spielt vollkommen dem immer mehr aus dem Ruder laufenden Regietheater unserer Tage entgegengesetzt, dessen Schwächen mittlerweile auch schon von bedeutenden Repräsentanten der Opernszene wie Iván Fischer mit seiner Iván Fischer Opera Company im Teatro Palladio von Vicenza, Philippe Jordan an der Wiener Staatsoper und den weltbekannten Opernsängern Andreas Schager und Jonas Kaufmann sowie vom Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan kritisiert wurde. Letzterer findet, wie schon der bekannte schweizerische Bühnenbildner und Regisseur Roland Aeschlimann in einem Interview mit dem Autor im Mai 2008 (Merker 06/2008) in Chamonix betonte, dass immer mehr das Handwerk verloren geht.

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„Die Walküre“: Brünnhilde übergibt Sieglinde Siegmunds Schwertstücke. Copyright: Stefan Walzl/ Staatstheater Oldenburg

Hingegen findet der Oldenburger „Ring“, der nun leider erst einmal abgespielt ist, ganz bodenständig irgendwo in einem kleinen Dorf in den Bergen statt, in denen Richard Wagner so gern wanderte. Man denke nur an seine legendären Ausflüge auf das Schweizer Faulhorn. Esterhazy sagt in einem Interview im allumfassenden Programmbuch, dass es das leading team gereizt habe, zusätzlich zum dystopischen „Spiel der Mächtigen“ oder dem kosmischen „Krieg der Sterne“ den gegenteiligen Weg zu gehen. Wagner hatte ja selbst einmal im Zusammenhang mit dem „Rheingold“ von einem „Bauernprozess“ gesprochen. So suchte man in der abgeschiedenen zeitlosen Welt der alpinen Bergtäler, wo der Komponist ohnehin die Tetralogie zu signifikanten Teilen geschrieben hatte, einen solchen Mikrokosmos und hat ihn offenbar, wie die Inszenierung über alle vier Abende vor stets verkauftem Hause und bei dem frenetischem Applaus des Publikums zeigte, auch gefunden. Damit hat man in der Produktion auch den Naturphänomenen und der Tierwelt, der Wagner ja immer so nahe stand, wie nicht nur seine große Liebe zu Hunden offenbart, wieder Raum gegeben. In der Regel wird sie in den zu beobachtenden Regietheater-Produktionen meist vollständig ausgeblendet, natürlich als hoffnungsloses Element eines vermeintlich in unserer modernen Zeit unakzeptablen Konservatismus gesehen. Dabei kommt es auch hier darauf an, wie man sich ihr widmet und sie in die Dramaturgie einbaut.

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„Siegfried“: Schwertschmiede. Copyright: Stefan Walzl/ Staatstheater Oldenburg

 

Indem die Tetralogie also derart konsequent auf eine Mikro-Ebene heruntergebrochen wird, zeigte sich in Oldenburg die enorme Potenz und Suggestivkraft der Wagnerschen Werkaussage und der ihr entsprechenden Partitur mit einer dazu bestens passenden Personenregie umso intensiver. Es werden immer wieder neue Szenen und Raumsegmente sichtbar durch die Rotation dieses Bühnenraumes, in dem manchmal andere Szenen einblenden, so beispielsweise während des langen Wotan-Monologs in der „Walküre“, aber auch nur Erinnerungen an frühere Gegebenheiten hervorkommen. Oft kann man auch gleichzeitig in verschiedene Räume sehen und dabei ein Stück Handlungsgeschichte oder Parallelwirkungen von Geschehnissen erkennen. Damit kommt es nebenbei nie zu unerwünschten Längen in der Geschichte. Stets strahlt das Bühnenbild lebhafte und interessante Information aus.

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„Götterdämmerung“: Vorspiel Siegfried mit Brünnhilde. Copyright: Stefan Walzl/ Staatstheater Oldenburg

Nur zwei Beispiele: Die anfänglich noch gesund wirkende Weltesche, die durch die Bretterwände in die Räume wächst, wird über die vier Abende zum welkenden, langsam alle Blätter verlierenden Baum, bis sie schließlich in der „Götterdämmerung“ als Feuerholz an dem Steinofen wird, auf dem Wotan in der „Walküre“ Brünnhilde zu Schlaf bettete. Der Waldvogel wird schon ganz früh von Sieglinde in Hundings Hütte gepflegt, hilft dann Siegfried bei seinen Heldentaten und taucht auch nochmal in der „Götterdämmerung“ auf. Es sind nur zwei von vielen kleinen Erzählsträngen, die das dichte Gewebe dieser so spannenden Inszenierung ausmachen. Dazu gehört auch, dass Erda in einem schwarzen, ihr Gesicht fast ganz verhüllenden Ornat, von allen unbemerkt von Beginn des „Rheingold“ an in einer Ecke des Raumes sitzt, ganz rollengerecht als Urmutter des Werdens und der Allwissenheit… Dabei spielt auch die Lichtregie von Ernst Engel immer wieder eine dramaturgisch und emotional eindrucksvolle Rolle. Viele Szenen erreichen gerade durch sein differenziertes, einmal trüb gespenstisches, ein anderes Mal klar erhellendes Licht, ihre Wirkung.

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„Götterdämmerung“ – Finale: Brünnhilde mit Weltesche und Hagen im Hintergrund. Copyright: Stefan Walzl/ Staatstheater Oldenburg

Was die Oldenburger Inszenierung aber auch endlich einmal wieder würdigt, ist Wagners Faszination am Mythos, der der Tetralogie ganz wesentlich inhärent zugrunde liegt. Man denke nur an seine Quellen wie die isländische ‚Völsungasaga‘, die norwegische ‚Thidekssaga‘, eine umfangreiche Sagenkompilation aus dem 13. Jahrhundert in altnordischer Sprache, die in Prosa das Leben des in Deutschland als Dietrich (Thidrek) von Bern bekannten Helden erzählt. Dazu griff Wagner noch auf die ‚Edda‘, den altenglischen ‚Beowulf‘ und die kurz zuvor erschienene ‚Deutsche Mythologie‘ der Gebrüder Grimm zurück. Indem er diese Sagen dramaturgisch zielführend für die Aussagen seiner „Ring“-Geschichte zusammenführte und verknüpfte, unterstrich der Komponist auch den mythologischen Gehalt der Tetralogie. Dass genau dies in Oldenburg verstanden und optisch hochinteressant und emotional einnehmend verstanden und umgesetzt wurde, ist ein großes Verdienst des leading teams und des Generalintendanten. Wieviel Herzblut über die Jahre ihrer Entstehung seit 2017 in diese Produktion mit ihrer ungewöhnlichen menschlichen Intensität geflossen ist, sieht man auch an der Herausgabe der „Nibelungen Post“ des Oldenburgischen Staatstheaters – Sonderausgabe 2022 – einer an das „Geschätzte Publikum“ gerichteten Gratis-Zeitung mit vielerlei Information und Künstler-Interviews zu diesem „Ring“.

Und die dazu von Wagner geschaffene und genau für eine solche Sichtweise des „Ring“ konzipierte Musik wusste der oldenburgische GMD Hendrik Vestmann mit dem Oldenburgischen Staatsorchester ebenso intensiv und packend umzusetzen. Man meinte bisweilen, auch aufgrund der guten Akustik im relativ keinen Haus, mitten im musikalischen Geschehen zu sitzen, ja direkt ins Geschehen involviert zu sein. Was kann man mehr erwarten von einer gelungenen Inszenierung?! Besonders überraschte neben dem guten Streicherensemble die hohe Qualität der Blechbläser. Allein schon Siegfrieds Hornrufe waren so perfekt, wie man sie oft an großen Häusern nicht hört! Und auch das Holz hatte immer wieder starke stimmungsvolle Momente. Besonders fiel aber Vestmanns immer wieder beeindruckend vorgetragene Dynamik auf, so beispielsweise beim Vorspiel zum 3. Aufzug des „Siegfried“, in den Orchesterzwischenspielen und im Finale der „Götterdämmerung“. Da erreichte der Oldenburger „Ring“ auch musikalisch eindrucksvolle Höhe.

Was wäre diese Produktion jedoch ohne das Sängerensemble gewesen, welches man nach Oldenburg rufen konnte und über das man zu großen Teilen dort schon verfügt?! Die in dieser Rolle schon weithin bekannte Nancy Weißbach gab eine emphatische und ebenso stimmschöne wie attraktive Brünnhilde. Sie gestaltete insbesondere den 3. Aufzug der „Walküre“ mit Wotan, den 3. Aufzug des „Siegfried“ mit Siegfried und das Finale der „Götterdämmerung“ äußerst musikalisch und stellenweise ergreifend. Zoltán Nyari wartete zunächst als kämpferischer Siegmund mit beeindruckender heldentenoraler Potenz auf und war dann ein agiler und stimmstarker Siegfried, dessen großartiges vokales Potenzial nur noch eines gewissen Feinschliffs bedarf. Dann wird er ganz weit kommen. Im November sang er den Siegfried ja in „Siegfried“ in Budapest mit großem Erfolg (Merker 12/2022). Die Koreaner Kihun Yoon und Leonardo Lee sangen beide auf gleich hohem Niveau Wotan und Alberich (Yoon Wotan in „Walküre“, Wanderer und Alberich in „Rheingold“; Lee Wotan in „Rheingold“ und Alberich in „Siegfried“ und „Götterdämmerung“). Beide schienen sich gegenseitig überbieten zu wollen, wer der Sänger mit der größten Stimmkraft ist, und haben mit einer perfekten Diktion und Phrasierung, und Yoon zudem mit einem bestechenden Legato, internationales Format. Welches kleinere Haus kann sich einer solchen Doppelbesetzung für solch große Wagner-Rollen rühmen?!

Ann-Beth Solvang gab eine überaus empathische und spielfreudige Sieglinde, und später auch eine gute Gutrune. Sie konnte mit ihrem schön timbrierten und facettenreichen Sopran für sich einnehmen. Melanie Lang war eine wandlungsfähige Fricka mit gutem Mezzo, die in den Familienversammlungen am Tisch des größten Wohnraums wie eine Clanführerin wirkte, ganz so wie die älteste Sennerin auf einer Alm in den Bergen… Lang war in der „Götterdämmerung“ auch eine starke Waltraute. Edna Prochnik gab eine geheimnisvolle, tiefgründige und urmütterhaft souveräne Erda mit einem klangvollen tiefen Mezzo, die gleichwohl immer noch erotische Anziehung ausübt. Der Wanderer konnte verständlicherweise kaum von ihr lassen. Die Nornen in Weiß woben unterdessen weiter am Schicksalsfaden… KS Matthias Wohlbrecht sang und spielte einen persönlichkeitsstarken und immer wieder mit Feuer hantierenden Loge und „Siegfried“-Mime, mit kraftvollen Höhen und emotionalen Ausbrüchen seines Charaktertenors. Er wurde als Mime geschickt vom kleinwüchsigen Peter Brownbill gedoubelt, um ihm die Last abzunehmen, auf Knien gehen zu müssen (!), um die Zwergengestalt zu bekommen. So waren also beide tatsächlich Zwerge!

Mit einem samtenen und klangvollen Bass beeindruckte auch der Finne Sami Luttinen als Fasolt, Hunding und Hagen, den er auch sehr intensiv gestaltete. Man wähnte sich schon etwas an seinen großen, ja legendären Landsmann Matti Salminen erinnert… Andreas Hörl war ein in der Tat riesiger Riese Fafner in „Rheingold“ und „Siegfried“, auf Stelzen gehend oder auf seinem Goldschatz lehnend, was Erinnerungen an die Riesen in Patrice Chéreaus Bayreuther „Rheingold“ von 1976 aufkommen ließ. Hörls Bass ist noch tiefer und klangvoller geworden als bei seinem Hagen vor Jahren in Meiningen. Shin Yeo war ein guter Donner. Martha Eason zwitscherte einen hellen Waldvogel mit dem ebenso an Chéreau erinnernden Vogel im Käfig, den Sieglinde einst mit Siegmund aus Hundings Hütte rettete. Auch im Vogelbauer sitzt ein Pärchen! Maiju Vaahtoluoto, Susanne Serfling, Erica Back, Martyna Cymerman, Hanna Larissa Naujoks, Maren Engelhardt, Nana Dzidziguri, Sarah Alexandra Hudarew; Timo Schnabel und Johannes Leander Maas agierten und sangen gut, zum Teil in mehreren Partien, in den weiteren Nebenrollen.

Es ist zu hoffen, dass wenigstens Teile dieser Produktion noch einmal in der neuen Direktion in Oldenburg kommen werden, da Generalintendant Firmbach bald ans Staatstheater Karlsruhe wechseln wird. Der Oldenburger „Ring“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie man an einem relativ kleinen Haus überzeugend Wagners große Tetralogie in Szene setzen und damit nicht nur die Kritik, sondern auch das Publikum begeistern kann…

Das Coverbild des eindrucksvoll bebilderten und an interessantem Text reichen Buches, welches das Oldenburgische Staatstheater zu dieser Inszenierung herausgab, zeigt auf der Titelseite den ersten direkten visuellen Nachweis für ein supermassereiches schwarzes Loch und seinen Schatten. Es wurde von den Event Horizon Telescope (EHT)-Forschern mit einer erdumspannenden Anordnung von acht bodengebundenen Radioteleskopen durch internationale Zusammenarbeit produziert und zum ersten Mal im April 2019 veröffentlicht. Ein historisches Bild, das von der Wissenschaft Einsteins und Schwarzschilds bis zu den Herausforderungen und Erfolgen der EHT-Kooperation zeugt.

Gibt es einen noch stärkeren Ausdruck für die Universalität der

Tetralogie Richard Wagners mit ihrem ebenso universalen Mythos?!

©    Klaus Billand

Liebe Grüße

Willi?

 

BARCELONA/ Gran Teatre del Liceu: TOSCA – Auswirkung unbegrenzter Macht in Namen der Gottesfurcht

22.01.2023 | Oper international

Barcelona/Gran Teatre del Liceu: TOSCA am 20. Januar 2023

 Auswirkung unbegrenzter Macht in Namen der Gottesfurcht

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Sondra Radvanovsky (Tosca). Copyright: Toni Bofill

In einer Koproduktion mit dem Théâtre Royal de la Monnaie, dem Teatro de la Maestranza y Salas del Arsenal Sevilla und dem Opéra Orchestre National Montpellier brachte das ehrwürdige und prachtvolle Gran Teatre del Liceu Barcelona im Januar eine Serie von 15 (!) „Tosca“-Aufführungen heraus, die mit den 2.286 Sitzplätzen – und damit wesentlich mehr als die Wiener Staatsoper – fast alle so gut wie ausverkauft waren, und das bei ständig wechselnden, durchwegs prominenten Besetzungen (Maria Agresta, Emily Magee, Monica Zanettin und Sondra Radvanovsky als Tosca; Michael Fabiano, Vittorio Grigolo und Antonio Corianò als Cavaradossi und Željko Lučić sowie George Gagnidze als Scarpia).

Der Spanier Rafael R. Villalobos zeichnete für Regie und Kostüme verantwortlich, interessanterweise aber nicht für das Bühnenbild, welches Emmanuele Sinisi gestaltete. Hinzu kamen für das gewählte, recht „spezielle“ Regiekonzept in der intensive Stimmungen verstärkenden Lichtregie von Felipe Ramos noch großflächige Malereien von Santiago Ydáñez. Sinisi konstruierte eine schneeweiße Rotunde mit großen romanischen Bögen in den Außenmauern, partiell auch noch in Metallkonstruktionen angedeutet. Im 1. Akt stehen oben Apostelfiguren wie auf den Kolonnaden um den Petersplatz in Rom, im 2. Akt sind sie weg, und die großen Gemälde beherrschen das Innere der nun zum Palazzo Farnese mutierten Rotunde mit dem Riesentisch Scarpias‘. Im 3. Akt gleicht die Rotunde, wenn man von der Farbgebung absieht, schließlich der Engelsburg. Sie dreht sich dramaturgisch immer nachvollziehbar, nie zu oft, während eine Drehbühne in ihrem Innenraum, die sich in die Gegenrichtung dreht, die Akteure oft kontrapunktisch zueinander positioniert. Das war immer wieder sehr effektvoll und auch tiefgründig.

Wenn man das Regiekonzept von Villalobos betrachtet, wird schnell klar, warum er nicht auch noch das Bühnenbild schaffen wollte, welches über alle drei Akte mit der weißen Rotunde einen doch etwas neutralen Rahmen für das darin stattfindende, in der Tat unter jede Haut gehende Geschehen, bildet. Denn dem Regisseur geht es darum zu zeigen, wie die totale Macht durch die Kirche, hier insbesondere des Vatikans, und die staatliche Macht in der Person Scarpias mit dem Joch der Angst regiert und unter all den Ängsten eine hervorsticht, die über der europäischen Moral schwebte und dem Willen des Vatikans und seinen politischen Interessen unterworfen ist: die Gottesfurcht. Dieser macht sich Scarpia habhaft, wenn er Tosca in der Kirche Sant’Andrea del Valle bei ihrem Wutausbruch im 1. Akt mit „En chiesa?“ zurecht weist. Die Wirkung ist so stark, dass er Toscas Hand ergreifen kann und sie ihn einen Augenblick lang zärtlich berührt…

Wahrlich eindrucksvoll lässt Villalobos Scarpia seine staatliche Macht aus der Gottesfurcht ableiten, die er im 2. Akt beim Versuch der Vergewaltigung Toscas mit allen Mitteln auf die Spitze treibt. Hier inszeniert Regisseur Scarpia tatsächlich den von Cavaradossi als „bigotten Satyr“ charakterisierten Polizeichef von Rom: „Scarpia? Bigotto satiro che affina colle devote pratiche la foia liber tina e strumento al lascivo talento fa il confessore e il boia!” Und Scarpia treibt es hier offenbar mit nackten Jünglingen, die angstvoll in den Seitengängen der Rotunde herumschleichen, oder sogar auf dem Tisch drapiert werden. Dazu sieht man die übergroßen Gemälde von Santiago Ydáñez nackter Frauen und Männer in den Bögen und, als es zum Mord an Scarpia gekommen ist, nach einer Reihe von Jagdhunden mit fletschenden Zähnen auch noch ein Chiffre von Caravaggios Gemälde von Judith und Holofernes, den sie ermordet, bevor es zu der von ihm gewünschten Liebesnacht mit ihr gekommen ist.

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Zeljko Lučič (Scarpia) mit Sciarrone und Spoletta, und dem Messner ganz rechts. Copyright: Toni Bofill

In der Inszenierung von Villalobos legt Scarpia nach dem „È bene?“ das Ketten- und Hals-Geschirr für eine Domina-Nummer an. Es wird also kaum etwas ausgelassen an sexueller Perversion. Selten gewann Toscas Ausspruch nach seiner Ermordung „E avanti a lui tremava tutta Roma!“ eine solch intensive Bedeutung. Dazu ist auch die Tortur Cavaradossis auf offener Szene am Tisch Scarpias bis zur Bewusstlosigkeit zu erwähnen, bis er nach dem „Vittoria“ gewaltsam und blutüberströmt abgeführt wird.

Hauptfigur ist für Villalobos aber Tosca, die eine spirituelle Reise vollzieht, in drei unterschiedliche Akte übersetzt, die die drei mentalen Zustände widerspiegeln, die sie durchläuft: von einem fast klischeehaften Realismus des ersten Akts geht man über zum Schockzustand des zweiten und eilt zur posttraumatischen Entfremdung des dritten, in dem Tosca und Mario völlig parallele Realitäten über einem offensichtlich unheilbaren Ende leben. Das ist an der Mimik Cavaradossis eindrucksvoll zu erkennen. Er glaubt an keine Rettung mehr. Die Despotie der Macht hat alles zerstört. Dazu passen auch die Kostüme, die Villalobos Tosca gibt. Ihre emotionale Verirrung wird schon im Te Deum des 1. Akts deutlich, als sie in einem Papst-Gewand erscheint, mit Mitra, und auf dem Gewand Gebeine und einen Totenkopf präsentiert. Scarpia reißt ihr die Mitra mürrisch vom Kopf. Im 2. Akt kommt sie mit einem kardinalsroten Kostüm, ein Zeichen, dass sie schon ihr Selbst gegen die Macht der Kirche und der daraus abgeleiteten weltlichen Macht in der Person Scarpias verloren hat.

Immer wieder kommt aber die stumme Rolle Pier Paolo Pasolinis ins Spiel, der wie Cavaradossi als Staatsfeind galt und von den gleichen Machtstrukturen verfolgt wurde, die Sardou in seinem Drama zeigt – anderthalb Jahrhunderte später, eine Tatsache, die viel über die römische Gesellschaft aussagt – bis zu seiner Ermordung 1975, kurz vor der Premiere von „Salò oder die 120 Tage von Sodom“. So einleuchtend das im e-Programmheft klingen mag, es erschließt sich nicht in der Dramaturgie auf der Bühne. Und wenn eine fast fünfminütige Szene von Pasolini mit einem Freund und ganz anderer Musik aus dem Off bei völliger Verdunkelung des Grabens zu Beginn des 2. Akts kein Ende zu nehmen scheint, kommen Buhrufe und allerhand ablehnende Kommentare aus dem Publikum. Das kam gar nicht an, und – in der Tat – es passte auch nicht und war schlicht überinszeniert.

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Tortur des Cavadarossi auf offener Bühne. Sondra Radvanovsky (Tosca), Vittorio Grigolo (Cavaradossi).

Copyright: Toni Bofill

Ganz anders kam das exzellente Sängerensemble an. Vittorio Grigolo hatte einen ganz großen Abend und gab den Cavaradossi mit einem Höchstmaß an Emphatik und Ausdruckskraft. Sein charaktervoller und sowohl bei den Spitzentönen wie in der Mittellage bestens ansprechender Tenor mit stets passender und einnehmender Mimik zog das Publikum in den Bann, sodass er nach nicht enden wollendem Applaus „E lucevan le stelle“ wiederholen musste. Eine ganz große Leitung eines auch mit viel Italianità singenden Tenors. Zuvor schon hatte Sondra Radvanovsky ihr „Vissi d’arte, vissi d‘amore” wiederholen müssen, die nach einem stimmlich noch etwas kühlen 1. Akt im 2. zu großartiger Form auflief, als wäre sie von Grigolo mitgerissen worden. Schöne Phrasierung, große Wortdeutlichkeit, gute Piani und ebenfalls starke vokale Ausdruckskraft kennzeichnen ihren klangvollen Sopran bei ausdrucksvollem Spiel. Auch sie begeisterte das Publikum über alle Maßen. Zeljko Lučič, schon etwas in die Jahre gekommen, sang den Scarpia vor allem mit einem schönen baritonalen Timbre und guter Mimik, hätte aber darstellerischen etwas intensiver agieren können. Felipe Bou sah als Angelotti wie ein Ersatz-Jesus aus, machte seine kurze Sache aber vokal recht gut. Jonathan Lemalu ließ es hingegen als Messner an stimmlicher Kraft und Ausdruck fehlen. Er blieb blass. Manuel Esteve als Sciarrone und Moises Marín als Spoletta spielten fiese Folterknechte Scarpias und entsprachen den stimmlichen Erwartungen an diese Rollen, ebenso wie der Schließer Milan Perišić und Hugo Bolívar als Stimme des Hirten.

Giacomo Sagripanti zeigte am Pult des Symphonischen Orchesters des Gran Teatre del Liceu seine große Kenntnis und Versatilität des Werkes von Puccini, sorgte für die bei der Intensität des Bühnengeschehens in dieser Produktion für die entsprechende musikalische Spannung und führte die Sänger auf äußerst einfühlsame Art und Weise. Der Dirigent sicherte dieser Ausführung große Homogenität zwischen dem Graben und dem Bühnengeschehen. So wirkte diese „Tosca“ wie aus einem Guss und wurde vom Publikum auch entsprechend bejubelt. Der von Pablo Assante einstudierte Chor trug mit kraftvollen Stimmen zum musikalischen Erfolg bei.                                                                               

Klaus Billand

 

BAYREUTH/ /Festspiele: PARSIFAL NI – abschließende Betrachtungen

18.08.2023  Oper international

WEISE WORTE 
Übereilung tut nicht gut, Bedachtsamkeit macht alle Dinge besser.“ 
Euripides (480 – 407 v. Chr.)

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Georg Zeppenfeld, Elina Garanca. Copyright: Enrico Nawrath/Bayreuter Festspiele

Augmented Phantasy statt Augmented Reality

 Das Bayreuther Festspielhaus erstrahlt nach der Renovierung fast wieder in altem Glanz, zumindest äußerlich. Weniger erstrahlend war hingegen der neue „Parsifal“ in der Produktion von Jay Scheib mit der Bühne von Mimi Lien, den Kostümen von Meentje Nielsen, dem Licht von Rainer Casper und der hier neu hinzugetretenen sog. Augmented Reality – AR und Videos von Joshua Higgason. Wie man lange im Vorfeld umfang- und blumenreich informiert wurde, ist das Regieteam angetreten, mit der Neuerung, hier Augmented Reality vorzuführen, das heißt diesen „Parsifal“ erleben zu lassen – ursprünglich gedacht für das gesamte Festspielhaus – durch sogenannte AR-Brillen, die man also aufsetzt und in denen man zusätzliche Handlungselemente sieht im erweiterten Rund des Festspielhauses.

Diese Augmented Reality möchte ich aber nach der Erfahrung mit der AR-Brille während des gesamten „Parsifal“ auf dem Kopf, als eine Augmented Phantasy bezeichnen. Also als eine erweiterte Phantasie und eben keine erweiterte Realität, denn fast nichts von dem, was man in der Brille zu sehen bekam, hatte etwas mit der Realität des „Parsifal“ zu tun, einer erweiterten Realität des Wagnerschen Bühenweihfestspiels. Das ist genau das Problem dieser Produktion: Meines Erachtens ist dieses ganze System völlig überfrachtet mit Bildern, mit dem Wunsch nach Phantasien und Farben, nach farben- und aktionsreicher Phantasie. Es gibt Beifälliges und manches mehr, weniger Eindrucksvolles, bisweilen auch Eindrucksvolles.

Aber das meiste hat nichts zu tun mit der Handlung des Werks, was man doch erwarten würde, wenn man schon sagt, man wolle erweiterte Realität in den Brillen zeigen. Da möchte man doch eigentlich die Realität der Bühne, also das Bühnengeschehen, erweitert sehen um Facetten und Inhalte, die man auf der Bühne (und nicht nur auf der Bayreuther Bühne) nicht abbilden kann, aber im Sinne der Realität und des Anspruchs des Stücks. Weitestgehend ist das unterblieben bis zu dem Punkt, an dem man fragen muss, ob Regisseur Jay Scheib und sein Team, vor allem wohl Joshua Higgason, den „Parsifal“ wirklich in- und auswendig kennen und sich auch einige Inszenierungen angesehen haben. Denn das scheint doch gerade für eine solch gewagte Arbeit absolut erforderlich. Statt des Erwarteten sieht man, und hier sollen nur drei Beispiele für viele andere Bilder genannt sein, etwa 30 Puffottern, deren größte sich sogar beißen, wenn Amfortas seinen ersten Monolog singt. Zu Beginn des 2. Aufzugs werden Klingsor und scheinbar auch Kundry durch eine Art wild beißende Tyrannosaurus Rex-Schädel portraitiert, oder was immer das darstellen sollte. Einmal fliegen jede Menge Totenschädel durch die Gegend, ohne mit der dazu sichtbaren Aktion auf der Bühne in Verbindung zu stehen. Der getroffene, aber noch munter fliegende Schwan trieft plakativ von Blut, das im ganzen Haus herumspritzt. Es fliegen Pfeile in großer Zahl, später auch Bücher und Schwerter – wild durch den Raum… Am ehesten leuchten noch die zunächst stehenden, später aber kreuz und quer liegenden Bäume des heiligen Waldes zu Beginn des 1. Aufzugs und auch im dritten ein.

Zudem nervt ein ständig über die Bühne wuselnder Kameramann, der alle Protagonisten und Szenen-Elemente aus nächster Nähe filmt und damit dem Bühnengeschehen viel Authentizität entzieht. Das ist doch ein mittlerweile völlig abgedroschenes Mittel und sollte einfach mal unterbleiben.

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Blumenmädchen/2.Akt. Copyright: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Wir sehen auf der Bühne im Grunde einen relativ normal bzw. unaufgeregt inszenierten „Parsifal“ – das würde man nicht gerade als Regietheater bezeichnen. Eine Inszenierung, deren Premiere am 25. Juli beim Festspiel-Publikum im Prinzip auch einmal gut angekommen ist. Denn damals hatten wie an diesem Abend nur 300 Besucher diese AR-Brillen, die von den Geldgebern als zu teuer empfunden worden waren und auch einen enormen technischen Aufwand bedeuten, der eben kostspielig ist.

An jedem Sessel befindet sich ein Sack mit der Brille und eine Art kleiner Transformator. Dieser ist mit einer Technologie ausgestattet und verbunden, die höchst fortschrittlich und damit natürlich auch teuer ist. Aber die meisten Besucher, also etwa 1.660, sehen die Brillen-Inhalte gar nicht. Selbst einige Kritiker hatten sie nicht ständig auf der Nase. Wenn man dann in der Pause darüber spricht, was man denn gesehen habe, reden die „Brillen-losen“ von etwas ganz anderem als jene mit Brille. So wird von ersteren beispielsweise argumentiert, dass die Idee mit dem Lichterkranz, der wie ein Heiligenschein bei den Verwandlungen in den Randaufzügen aus dem grün-färbenden See aufsteigt, doch recht eindrucksvoll sei, man aber für den Bagger im 3. Aufzug keine Erklärung hat, wenn man nicht sofort das Programmheft studiert hat. Bei einigen durchaus phantasievollen und gar zauberhaften Bildern in Klingsors Zaubergarten im 2. Aufzug hätte die Personenregie jedoch noch um einiges intensiver sein können.

Was dann aber wirklich witzig anmutete und ganz und gar unerwartet kam, war Scheibs Versuch, am Ende eine ganz handfeste Real-Thematik in diesen „Parsifal“ einzuschieben. Das erinnerte stark an die Bayreuther „Ring“-Inszenierung von Frank Castorf. Thematisierte dieser noch das Rohöl als wichtigen, ja unentbehrlichen Rohstoff für die Menschheit (das würde sich Castorf heute wohl zweimal überlegen, obwohl es weiterhin der Realität entspricht), geht es bei Scheib nun auf einmal um die seltenen Erden als ebenfalls wichtige Rohmaterialien für den Industrie-Prozess. Bekanntlich werden Lithium und Kobalt sowie weitere schwer zu fördernde und nur in wenigen und teilweise problematischen Ländern vorkommende Rohstoffe in Autobatterien und überhaupt in Batterien der westlich geprägten Zivilisation verarbeitet. Dort glaubt man ja, mit Autobatterien einen signifikanten Beitrag zur Umwelt zu leisten, während das in anderen Gegenden der Welt natürlich ganz und gar gegenteilige Folgen für Ökosysteme und Menschen hat. Ich habe im bolivianischen Hochland in der Nähe des riesigen Salar de Uyuni (Uyuni-Salzsee) mit Leuten gesprochen, die aufgrund des Lithium-Abbaus ihre Dörfer verlieren und umgesiedelt werden müssen, weil Lithium natürlich in großem Maße für die Autobatterien gebraucht wird. (Nebenbei senkt seine Förderung den Grundwasserspiegel ab mit verhängnisvollen Erosions-Folgen für die umliegenden, zum Teil bewaldeten Hänge). Jetzt wird dieser neue Bayreuther „Parsifal“ also auf einmal höchst politisch!

Diese Thematik hat aber nun wirklich gar nichts mit diesem Stück zu tun, ist aufgesetzt wie ein Korken auf eine Sektflasche! Ja, und viele haben das gar nicht so verstanden, wenn sie sich nicht im Programmheft rechtzeitig schlau gemacht haben. Also wieder eine Produktion, die man nur mit Programmheft für sich erarbeiten kann und de facto auch muss. Das ist ja heute normal, aber bei Nicht-Programmheft-Kennern kam das eigentlich gar nicht recht an, wenn man mit ihnen hinterher sprach.

Wer aber eine Brille hatte, sah in ihnen alte Autobatterien herumfliegen ebenso wie Plastikflaschen für Öl und manche Mülltüten. Müll sammelt sich überall auf der Bühne an. Als Gurnemanz in einem völlig abgefetzten Gewand singt, dass ein jeder sich nun die Atzung selbst suche, nachdem der Gral ja nicht mehr enthüllt werde, kommt ein Wolf (oder ein übergroßer Fuchs?) und setzt sich für lange Zeit mitten auf einen ausgetrockneten Salzsee. Bis zum Abwinken fliegt eine Papiertüte durch die Brillen-Horizonte bis zum letzten Takt des Stücks! Sie wirkte wie ein Wink mit dem Zaunpfahl unter dem Motto: „Ihr Bösen, Ihr macht so viel Müll! Nehmt euch jetzt endlich zusammen!“ Wenn das dazu führt, dass beim Einkaufen demnächst nur noch Stofftaschen verwendet werden, ist es ja eine gute Idee…

So muss man wohl sagen, dass das Wichtigste und in der Tat auch Erhellendste an dieser Produktion das zum Einsatz kommende Sängerensemble war, wobei der Sänger der Titelrolle, der Malteser Joseph Calleja, noch kurz vor der Premiere ersetzt werden musste.

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Andreas Schager, Elina Garanca.Copyright: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Hier waren Sänger von Weltklasse zu hören, allen voran Elīna Garanča als Kundry, mit der sie ja bei großem Erfolg schon in der neuen Wiener Serebrennikov-Produktion debutiert hatte. Sie brachte mit ihrem vielseitigen und in allen Lagen bestens ansprechenden Mezzo alle relevanten Eigenschaften der Kundry an den Tag. Mit ihr auf Augenhöhe agierte Andreas Schager als Parsifal. Er hat hier einmal seine Vokalkraft gezügelt und dabei, vor allem im 2. Aufzug, sehr schöne lyrische Momente sang.

Sehr gut wirkte die schon von Beginn an quasi intime Beziehung zwischen Kundry und Parsifal. Schon in der Verführung-Szene des 2. Aufzugs ist da etwas zwischen beiden übergesprungen und bleibt bis zum Ende. Da steigt Parsifal nämlich mit Kundry in diesen Lithium-Abraumtümpel (der Bagger daneben spricht ja eine deutliche visuelle Sprache!), und man weiß sofort: Diese beiden werden die Zukunft gestalten. Weit weniger überzeugend fand ich hingegen die stumme Rolle einer Frau, die schon im wieder einmal nicht stückgerecht bebilderten Vorspiel Gurnemanz in Liebe verbunden ist und ebenfalls am Ende nach langer starrer Haltung zu ihm tritt. Offenbar ist sie mit Gurnemanz das zweite Paar, das hier die Zukunft bedeutet. Der Vergleich mit Kaiser- und Färberpaar aus dem Finale der „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss drängt sich unmittelbar auf. Er hat im „Parsifal“ aber nicht die Basis, die bei Strauss dramaturgisch über das ganze Stück nachvollziehbar erarbeitet wird.

Georg Zeppenfeld ist ein mit seinem samtenen Bass herrlich singender unermüdlicher Gurnemanz, in den wohl unmöglichsten Kostümen von allen. Tobias Kehrer empfiehlt sich als Titurel für höhere Aufgaben. Nicht so ganz stimmlich überzeugte der Klingsor von Jordan Shanahan in Stöckelschuhen, einem rosa Anzug und mit einem verrückten silbernen Stierhelm. Derek Welton ist ein guter Amfortas, vielleicht etwas leicht. Siyabonga Maqungo und Jens-Erik Aasbø sind 1. und 2. Gralsritter, Betsy Horne, Margaret Plummer, Jorge Rodriguez-Norton und Garrie Davislim die Knappen. Evelin Novak, Camille Schnoor, Margaret Plummer, Julia Grüter, Betsy Horne und Marie Henriette Reinhold, die auch ein klangvolles Altsolo singt, sind Klingsors Zaubermädchen im sehr bunten Blumenambiente des 2. Aufzugs.

Ähnlich wie bei Christine Mielitz in Wien lässt hier Parsifal den Gral, der nichts anderes als ein grünblauer Klumpen Kobalt (für die Autobattereien) ist, zu Bruch gehen. Der Speer des Longinus bleibt einfach liegen, nachdem Amfortas mit ihm geheilt worden ist.

Das ist also nun die neue Technologie der AR, die streng genommen keine ist sondern eine AP. Man muss leider feststellen, dass die Brille auch recht unangenehm zu tragen ist. Sie drückt auf die Nase, und man muss sie immer mal ein paar Momente hochnehmen, um die Nase zu entlasten. Es ist also technisch noch nicht gut gelöst. Es war interessant zu sehen, wer im 3. Aufzug die Brille überhaupt noch auf der Nase hatte in den letzten beiden Reihen. Da waren mindestens ein Drittel der Leute schon ohne Brille, die Älteren praktisch alle! Ich habe nach Ende der Aufführung fünf Besucher befragt, was sie denn dazu geführt habe, die Brille abzusetzen. Sie sagten einhellig, es habe nichts mit dem Stück zu tun, es gebe einfach keinen Mehrwert. Zudem deuteten sie an, dass es auch technisch noch nicht so gut gelöst sei. Es sei einfach zu kompliziert und die Brille zu schwer. Überwogen hat aber der Vorwurf, dass das durch die Brille zu Erlebende mit dem Stück wenig zu tun hat. Und das ist doch der entscheidende Punkt.

Ich glaube, dass diese Technologie eine einmalige Idee ist, um es diplomatisch auszudrücken, ein Entwurf, der keine Zukunft haben wird – allein schon technisch nicht, zumal im normalen Opernbetrieb. Es ist viel zu teuer und viel zu sehr mit Technologie bei entsprechendem Erklärungsbedarf verbunden, sodass das „normale“ Publikum diese Brille gar nicht annehmen wird.

Und was noch gar nicht erwähnt wurde: Die Brille und die doch häufig notwendig werdende Beschäftigung mit ihr lenken erheblich von der Musik ab. Dabei hat der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado bei seinem Debüt auf dem Grünen Hügel durchaus reüssiert und die komplizierte Schlagtechnik gleich gut beherrscht. Das Ergebnis des Festspielorchesters konnte sich wirklich hören lassen. Eberhard Friedrich hatte den legendären Bayreuther Festspielchor wieder exzellent einstudiert. Da haben die Leute natürlich zu Recht getrampelt, was sie meist bei allem tun. Aber es war hier wirklich verständlich, denn die Chöre sangen in der Tat hervorragend.

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Schluss-Szene. Copyright: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Mein abschließendes Urteil ist also von großer Skepsis geprägt. Ich würde den Geldgebern raten, den Kauf weiterer Brillen ernsthaft – wenn überhaupt – zu überlegen, allenfalls nach einer eingehenden schriftlichen Befragung über die Erfahrungen der Besucher, die dieses Jahr eine erworben hatten. Die Investitionskosten sind doch erheblich und werden meines Erachtens durch den Erlebnis-Gewinn nicht aufgewogen, zumal ganz erheblich der direkte (durch eine Brille) unverstellte Eindruck des Bühnengeschehens durch die visuelle Überlagerung des Bühnenbildes durch die Brillenwelten und damit der Kontakt zur bzw. die Wahrnehmung der dazu erklingenden Musik signifikant verloren geht.                                                                                             

© Klaus Billand

Liebe Grüße

Willi????

Erich Ruthner hat auf diesen Beitrag reagiert.
Erich Ruthner

Klaus Billand, dürfte heute der anerkannteste Wagner Kritiker sein. Er bringt weltweite Oper in unser Forum.

Liebe Grüße 

Herzlich 

Hans

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